Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit ist in der Wissenschaft inhaltlich noch nicht so eingehend behandelt worden wie die anderen beiden Dimensionen, der Ökonomie und der Ökologie (12). Der Grund hierfür liegt zum einen an der Abstraktheit des Begriffes sozial, zum anderen aber auch im Ursprung der Nachhaltigkeitsdebatte, welche sich aus Umweltbewegungen entwickelt hat. Im Agrarsektor und im Gartenbau beschäftigen sich vorzugsweise Naturwissenschaftler mit Themen der Nachhaltigkeit (5). Hier wird ein Interdisziplinaritätsdefizit deutlich, welches für die Bearbeitung des ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatzes hinderlich ist.
Nach der viel zitierten Definition des Brundtland-Berichtes beinhaltet eine nachhaltige Entwicklung eine intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit (4). Der Gerechtigkeitsanspruch zukünftiger Generationen wird im Sinne der vorherrschenden ökozentrischen Sichtweise mit dem Erhalt natürlicher Ressourcen gleichgesetzt. Auf makroökonomischer Ebene soll eine Gerechtigkeit innerhalb einer Generation durch eine gerechte Verteilung von und einen gerechten Zugang zu Ressourcen erreicht werden. Diese Definition trifft die intuitive Vorstellung von sozial nicht, sie ist auch wenig hilfreich, um die soziale Dimension für ein Gartenbauunternehmen zu konkretisieren und auf dieser Basis Indikatoren einer sozial nachhaltigen Entwicklung abzuleiten.
Naturwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Methoden sind nicht in der Lage, die soziale Dimension der Nachhaltigkeit in einer annähernd befriedigenden Art und Weise auszufüllen. Ihre Untersuchungsgegenstände sind von normativer Gerechtigkeit und der menschlichen Psyche zu weit entfernt. Am ehesten kann hier die Wirtschaftswissenschaft mit der Vorstellung der individuellen Nutzenmaximierung einen Beitrag leisten. Nichtsdestotrotz wird die Philosophie und Psychologie den Kern der sozialen Dimension zielführender ausfüllen können. Warum diese beiden Disziplinen zu vorteilhafteren Ergebnissen kommen, wird im Laufe dieses Artikels deutlich werden. Der Hauptgegenstand dieses Artikels ist die Gerechtigkeit innerhalb der heutigen Generation und bezogen auf das Gartenbauunternehmen in Deutschland, dessen Mitarbeiter.
Die Grundüberzeugung des Autors und Intention dieses Artikels ist die Erkenntnis, dass das vorrangige Ziel der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit sein muss, dem Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen und dass ein gutes Leben auch durch das Ausmaß an positiven Emotionen, als alleine durch materielle Güter wie Gehalt oder andere einfach zu quantifizierende Indikatoren wie den Urlaubsanspruch definiert werden muss. Ist Glück die wesentliche Triebfeder menschlichen Handelns, die Abwesenheit von Leid und ein entscheidender Faktor eines guten Lebens, dann muss die soziale Dimension der Nachhaltigkeit die Maximierung menschlichen Glückes anstreben.
Gemein ist den folgenden Ansätzen, dass sie soziale Nachhaltigkeit oder Gerechtigkeit eher auf makroökonomischer Ebene definieren, als dass sie einen wesentlichen Beitrag für die Ausgestaltung sozialer Nachhaltigkeit auf Unternehmensebene leisten. Ungeachtet dessen sollten sie in die weiteren Überlegungen mit einfließen.
Der Grundbedürfnisansatz fordert für alle Menschen einen ausgewogenen Zugang zu sozialen Grundgütern aber auch Chancengleichheit und die Möglichkeit sich selbst zu verwirklichen, das heißt die Möglichkeit eines Menschen, sein Leben frei zu gestalten. Gleichzeitig darf seine Würde nicht infrage gestellt werden. Diese Forderung drückt sich auch im deutschen Grundgesetz in Artikel Eins, Absatz Eins aus: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. (…)" (7). Zu den sozialen Grundgütern gehören auch Rechts- und Gerechtigkeitssinn, Toleranz, Solidarität, Gemeinwohlorientierung und Integrationsfähigkeit. Diese sozialen Grundgüter sind Voraussetzung für einen anhaltenden sozialen Frieden und somit auch für die Stabilität einer Gesellschaftsordnung. Fischer-Kowalski fasst soziale Nachhaltigkeit wie folgt zusammen: "(…) Lösung der Verteilungsprobleme zwischen Regionen, (…) sozialen Schichten, Geschlechtern und Altersgruppen und Lösungen des Problems kultureller Integration, von Zugehörigkeiten und Identitäten" (10). VON HAUFF kritisiert an diesem Ansatz, dass er keine Handlungsempfehlungen für die Politikgestaltung in Bezug auf die unklaren Bedürfnisse zukünftiger Generationen gibt (12). FISCHER-KOWALSKI geht auf zwei Bereiche ein, welche auch auf Unternehmensebene umgesetzt werden können. Sie spricht Verteilungsprobleme an, welche auf eine extreme Ungleichverteilung von Einkommen abzielen können. Auch wenn die Forderung nach Gleichheit an dieser Stelle kritisch betrachtet werden muss, kann eine extreme Ungleichverteilung als nicht nachhaltig im normativen Sinne bewertet werden. Der Indikator "Ginikoeffizient der Gehaltsstruktur" kann hier zu einer Verbesserung beitragen. Auf ihn soll an dieser Stelle aber nicht näher eingegangen werden. Ein weiterer Punkt ist der der kulturellen Integration welcher durch Diversity-Indikatoren, wie beispielsweise den Anteil der Festangestellten mit Migrationshintergrund, abgebildet werden sollte.
Auf den Begriff des sozialen Kapitals soll nur am Rande eingegangen werden. Seine Bedeutung ist, wie bei ökologischem und ökonomischem Kapital, nicht einheitlich definiert. So verstehen HAUG und GERLITZ unter sozialem Kapital die Summe von sozialen Netzwerken und die Existenz einer kooperationsfördernden Ethik innerhalb einer Gesellschaft (13). Auch die hier aufgeführte kooperationsfördernde Ethik kann auf Unternehmensebene realisiert werden. Die Realisierung kann mithilfe des Indikators Mitarbeiterzufriedenheit unterstützt werden und zielt auf eine Veränderung der Führungs- und Unternehmenskultur der gartenbaulichen Unternehmung ab.
In neuerer Zeit wurde die Frage gestellt, was Menschen glücklich macht. Die Positiv-Psychology-Strömung begründet von SELIGMAN und CSIKSZENTMIHALYI, widmet sich nicht dem klassischen Untersuchungsobjekt der Psychopathologie, sondern untersucht die Psyche des gesunden Menschen. Der Autor sieht in diesem Ansatz das größte Potenzial für die soziale aber auch erhebliche Potenziale für die ökonomische Dimension von Nachhaltigkeit in Unternehmen. Glück und Zufriedenheit als abgeschwächte Vokabeln sollen an dieser Stelle synonym betrachtet werden. Glück und Gerechtigkeit sind zwei Grundforderungen sozialer Nachhaltigkeit. Der Aspekt der Zufriedenheit oder des Glückes wird an anderer Stelle eingehend betrachtet.
Schon der Brundtland-Bericht stellt besonders die inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit heraus. Ein Merkmal von Gerechtigkeit ist, dass sie schwierig zu spezifizieren ist. Die Politik stellt den Menschen in den Mittelpunkt des Interesses, sie nimmt eine aufgeklärte anthropozentrische Perspektive ein. Der westliche Kulturkreis betrachtet Gerechtigkeit aus seiner christlich aufgeklärten Historie heraus; dieses Verständnis schließt bestimmte Gerechtigkeitsansätze mit ein und klammert andere aus. Ethik versucht Normen zu entwickeln, welche von allen Menschen weltweit geteilt werden. Trotzdem kann die Frage, was gerecht ist und was gut oder böse ist nicht eindeutig geklärt werden. Wird die westliche Ethik postuliert, dann ist sie für die Gerechtigkeit zwischen Personen (intragenerationelle Gerechtigkeit) relativ konkret. Wohingegen die Diskussion über die Gerechtigkeit zwischen den Generationen (intergenerationelle Gerechtigkeit) für den Fall unterschiedlicher Nutzungsansprüche noch nicht weit fortgeschritten ist. Das Problem ist, dass Prognosen über die Bedürfnisse zukünftiger Generationen kaum möglich sind. So ist es auch schwierig, heute eine Entscheidung zu treffen und die Auswirkungen auf zukünftige Generationen abzuschätzen. Beispielsweise könnte ein heutiger Ressourcenverbrauch sowohl die Möglichkeiten künftiger Generationen schmälern, als auch als notwendig erachtet werden Kapazitäten aufzubauen, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen (12).
Viele der heutigen Diskussionen über Gerechtigkeit, besonders im angloamerikanischen Raum, basieren auf der Theorie des Utilitarismus. Der klassische Utilitarismus geht auf BENTHAM (1) und MILL (18) zurück. BENTHAM fordert die Maximierung des Glücks durch die Maximierung der materiellen und immateriellen Bedürfnisbefriedigung des Individuums auf der Basis rationalen Handelns (1). BENTHAM geht im Sinne einer klassischen Wirtschaftstheorie davon aus, dass die Bestrebung des Individuums seinen persönlichen Nutzen zu maximieren auch den Nutzen der Allgemeinheit maximiert. Werden zwei gleichgewichtete Nutzen gegenübergestellt bedeutet dies, dass die Verteilung des Nutzens zwischen den Individuen nicht von Bedeutung ist, sondern nur die Summe für die Gesellschaft als Ganzes. Dieses Verständnis des Utilitarismus kann zu einer starken Ungleichgewichtung innerhalb einer Gesellschaft führen. Der Ansatz ist daher aus der Perspektive der Nachhaltigkeit als nicht zielführend zu bewerten, da die intergenerationelle Gerechtigkeit vernachlässigt wird. Des Weiteren kann eine extreme Ungleichverteilung den sozialen Frieden innerhalb eines Landes aber auch einer Organisation gefährden.
Besondere Aufmerksamkeit in der neueren Diskussion über Gerechtigkeit findet die Gerechtigkeitstheorie von RAWLS, welche auf der Theorie des Gesellschaftsvertrages von Locke, Rousseau und Kant basiert. Der Kern der "Theory of Justice" von RAWLS ist das Prinzip der Fairness, welches die herkömmliche Vorstellung von einem Gesellschaftsvertrag abstrakter modelliert. Hierdurch besitzt jedes Individuum eine unveräußerliche Unverletzbarkeit, welche auch im Namen des Wohles der gesamten Gesellschaft nicht aufgehoben werden kann (22). Es ist notwendig, dass in einer gerechten Gesellschaft jeder die gleichen Bürgerrechte und –pflichten hat. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass RAWLS explizit auch auf die gleichen Pflichten eingeht. Diese Forderung kann auf Unternehmensebene mit dem Feature "Faire Behandlung" der Mitarbeiterzufriedenheit nach WARR (27) operationalisiert werden. Auf die Features soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Zusätzlich zu den gleichen Rechten und Pflichten sind Richtlinien von Nöten, wie zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Güterverteilung zu entscheiden und eine Einigung zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen zu erzielen ist. RAWLS beschreibt somit die Grundsätze sozialer Gerechtigkeit und Sozialer Marktwirtschaft. Im Bereich der globalen Gerechtigkeit propagiert er die Prinzipien des Völkerrechts wie Freiheit, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit, das Recht auf Selbstverteidigung, den Grundsatz der Nichteinmischung und die Einhaltungspflicht von Verträgen und Abmachungen. Im ökonomischen Kontext fordert er unter anderem faire Normen im Handel und erkennt das Prinzip der Hilfeleistung auf internationaler Ebene als humanitäre Hilfe an (12). Die Wohlfahrt einer Gesellschaft wird nach den Vorstellungen RAWLS von Gerechtigkeit, von dem Nutzen des am schwächsten gestellten Individuums bestimmt. Hiernach können Ungleichheiten gerecht sein, wenn die Konzentration von Nutzen und Macht bei einem Individuum das schwächste Gesellschaftsmitglied besser stellt als es bei einer Gleichverteilung der Fall wäre. RAWLS Gerechtigkeitsvorstellung würde wohl auf makroökonomischer Ebene, aber auch als Definition einer gerechten Gesellschaft oder eines Staates, breite Zustimmung finden. Wenige würden auf dieser Ebene Prinzipien wie Freiheit, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit ablehnen.
Andere neuere Ansätze sind vor dem Hintergrund der Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung entstanden. Einer der neueren Ansätze ist das Prinzip von Bürgerrechten und Partnerschaft. PEET und BOSSEL vertreten ein Partnerschaftsprinzip, formulieren drei Ziele und leiten entsprechende Indikatoren zur Überprüfung des Zielerreichungsgrades ab (21):
PEET und BOSSEL werden im Vergleich zu der abstrakten Gerechtigkeitstheorie von Rawls in ihren Ansätzen zu einer intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit anwendungsbezogener. BROWN-WEISS führt diese Konkretisierung des Anwendungsbezuges auf makroökonomischer Ebene mit dem "Planetary Trust" weiter. Dieser besagt, dass jede Generation kollektive Rechte genießt, aber auch kollektiven Pflichten unterliegt (12). Die kollektiven Rechte und Pflichten werden durch drei Handlungsregeln operationalisiert (28):
Der Ansatz von PEET und BOSSEL verbindet den Begriff der Gerechtigkeit mit der ökozentischen Sichtweise auf Nachhaltigkeit; gleiches gilt für den Planetary Trust von BROWN-WEISS. Dieser bezieht allerdings einen kulturellen Aspekt mit ein, welcher in den bisherigen Überlegungen vernachlässigt wurde. Für die Anwendung auf Unternehmensebene bleiben diese Forderungen jedoch zu abstrakt. Einzig der Kulturbezug kann beispielsweise in Form eines Indikators zu ökologisch und landeskulturell bedeutsame Flächen (ÖLF) Betrachtung finden. Für die inhaltliche Belebung der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit sind sie wenig hilfreich.
Geeigneter erscheint der Ansatz der Helmholz-Gesellschaft. Die Helmholzgesellschaft Deutscher Forschungszentren (HGF) hat mit ihrem disziplinübergreifendem Ansatz ein integriertes Nachhaltigkeitsverständnis und drei generelle, aufeinander aufbauende substanzielle Nachhaltigkeitsregeln entwickelt (17):
Die Konzepte der Weltbank (International Bank for Reconstruction and Development (IBRD)) thematisieren Chancengleichheit und Entwicklung. Ebenfalls einen hohen Konkretisierungsgrad von Gerechtigkeit bietet beispielsweise der Weltentwicklungsbericht aus dem Jahr 2006 (8). Ausgangspunkt des Gerechtigkeitsverständnisses des Berichts ist die Chancengleichheit und die Verhinderung extremer Armut. Er zeigt an konkreten Beispielen auf, wie es trotz Chancengleichheit zu Ungleichheit kommen kann. Damit wird deutlich, dass Chancengleichheit eine wichtige, aber keine ausreichende Basis für mehr Gerechtigkeit ist. Im Weltbank-Bericht werden konkrete Beispiele für länderinterne Ungleichheit aber auch Ungleichheit auf globaler Ebene dargelegt, welche sowohl in Entwicklungs- als auch in Industrieländern auftreten können. Beispiele hierfür sind ungleiche Gesundheitsversorgung, Bildungschancen, Einkommen und eine Ungleichverteilung von Einfluss und Macht. Eine Förderung von mehr Gerechtigkeit beinhaltet den Aufbau von ausgewogenen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Dies gilt für eine Chancengleichheit innerhalb und zwischen Ländern und Regionen (12). Wobei ein gewisses Maß an Ungleichheit in bestimmten Bereichen wie beispielsweise dem Einkommen für die Funktionsweise einer Gesellschaft und Wirtschaft unabdingbar sind, wohingegen die Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Bildungschancen und eine Sicherung des Existenzminimums klare Anforderungen der sozialen Nachhaltigkeit darstellen.
Die aufgeführten Ansätze bieten Anhaltspunkte für eine Konkretisierung einer Definition sozialer Nachhaltigkeit auf Unternehmensebene, sind allerdings für eine Operationalisierung noch zu abstrakt. Im Folgenden wird ein Ansatz, teils aufbauend auf den dargestellten Ansätzen, vorgestellt und als Leitlinie für die Unternehmung zur Diskussion gestellt.
SEN fehlt dem vertragstheoretischen Ansatz von RAWLS der Bezug zur Freiheit: "(…) der angemessene Bereich weder der Nutzen ist, wie Wohlfahrtstheoretiker behaupten, noch die Grundgüter, wie RAWLS es fordert, sondern die Grundrechte, die freiheitlichen Möglichkeiten, ein mit Gründen schätzenswertes Leben zu wählen" (25). SEN stellt so eine Beziehung zwischen Freiheit und nachhaltiger Entwicklung her. Unter Freiheit versteht er die tatsächliche Chance eines Menschen, das zu tun, was dieser aus einem für ihn wichtigem Grund tun will. Der Gerechtigkeitsbegriff von SEN erweitert somit die institutionelle Perspektive von RAWLS um einen sozialen Kontext (12). NUSSBAUM (20) konkretisiert die Ausführungen von RAWLS und SEN, indem sie eine Liste mit Kriterien des guten Lebens zur Diskussion stellt und versucht, damit die Lücke einer Vertragstheorie der Gerechtigkeit zu schließen. Menschen mit schweren Behinderungen sind in den Strukturen gegenwärtiger Vertragstheorien von der Festlegung grundlegender politischer Prinzipien ausgeschlossen, ihr Bürgerstatus bleibt unsicher, und somit ihr Anspruch auf umfassende Gleichbehandlung gefährdet. Problemfelder des klassischen Kontraktualismus sind auch Fragen globaler Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit in einer globalisierten Welt, welche die Grenzen des Nationalstaates überschreiten und das Verhältnis von Mensch und belebter Umwelt, nach dem Umgang mit den Interessen nichtmenschlicher Spezies. Diese drei Gerechtigkeitsprobleme greift NUSSBAUM in ihrem Werk über "die Grenzen der Gerechtigkeit" auf. Anders als SEN lässt NUSSBAUM den liberalen Kontraktualismus aber nicht hinter sich und entwirft mit dem Capability Approach Skizzen eines wertgesättigten materiellen Gerechtigkeitsbegriffs (16). Sie listet die Kriterien eines guten Lebens wie folgt auf (19; 26):
Die Möglichkeit ein Leben in normaler Länge zu leben, ohne frühzeitig zu sterben, es sei denn, es ist so reduziert, dass es nicht mehr als lebenswert gelten kann.
Die Möglichkeit sich guter Gesundheit zu erfreuen, dies beinhaltet auch eine adäquate Ernährung und Unterkunft.
Die Möglichkeit sich frei zu bewegen, dies beinhaltet eine gewisse Mobilität. Die Sicherheit vor gewalttätigen Übergriffen, einschließlich sexueller und häuslicher Gewalt. Die Möglichkeit zur sexuellen Zufriedenheit und freien Entscheidung über die Elternschaft.
Die Möglichkeit sich seiner Sinne und Vorstellungskraft zu bedienen, zu denken und sich seine eigene Meinung zu bilden, und zwar in einer "wahrhaft menschlichen" Art und Weise. Dies beinhaltet eine angemessene Bildung einschließlich, aber keineswegs darauf beschränkt, Alphabetisierung und mathematischer und naturwissenschaftlicher Grundbildung. Die Möglichkeit Fantasie und Gedanken im Zusammenhang mit Erfahrungen, der eigenen Arbeit und Ereignissen in einer unabhängigen Weise einzusetzen und zu erleben. Die Möglichkeit seine Meinung ohne Restriktionen äußern zu können. Die Freiheit der Religionsausübung und die Möglichkeit, Freude zu empfinden und unnötigen Schmerz zu vermeiden.
Die Möglichkeit, Gefühle zu Dingen und Menschen außerhalb unserer selbst zu empfinden; diejenigen zu lieben, welche uns lieben und für uns sorgen und bei ihrer Abwesenheit zu trauern, Sehnsucht, Dankbarkeit und berechtigte Wut zu empfinden. Die emotionale Entwicklung darf nicht durch Furcht und Angst behindert werden. (Die Unterstützung dieser Möglichkeit heißt Formen des menschlichen Zusammenlebens zu unterstützen, welche diese Gefühle nicht unterdrücken oder im Falle von Furcht und Angst nicht hervorrufen.)
Die Möglichkeit eine Konzeption des Guten zu bilden und die Planung des eigenen Lebens kritisch zu reflektieren. (Dies bedeutet auch Schutz der Freiheit des eigenen Gewissens und der Religionsausübung.)
Zum einen: Die Möglichkeit mit anderen zu leben; sich um andere Menschen zu kümmern; sich an verschiedenen Formen der sozialen Interaktion zu beteiligen und in der Lage zu sein, sich in die Situation anderer hineinzuversetzen. (Der Schutz dieser Möglichkeit bedeutet auch den Schutz von Institutionen, welche sich um andere kümmern, das Gefühl der Zugehörigkeit zu unterstützen und den Schutz von Versammlungsfreiheit und politischer Rede.)
Zum anderen: Die Möglichkeit mit den sozialen Grundlagen der Selbstachtung und Nichtdemütigung als würdiges gleichwertiges Wesen behandelt zu werden und andere zu behandeln. Dies beinhaltet die Nichtdiskriminierung auf der Grundlage von Geschlecht, sozialer Schicht und nationaler Herkunft.
Die Möglichkeit, mit Sorge um und in Beziehung zu Tieren, Pflanzen und der Natur zu leben.
Die Möglichkeit zu lachen, zu spielen und Freizeitaktivitäten zu genießen.
Zum einen "Political" (Politisch): Die Möglichkeit sich effektiv an politischen Entscheidungen, welche das eigene Leben beeinflussen zu beteiligen; das Recht auf politische Partizipation, Schutz der freien Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit.
Zum anderen "Material" (Materiell): Die Möglichkeit Eigentum (immobile und bewegliche Güter) zu besitzen und diese Eigentumsrechte auf der Grundlage von Gleichberechtigung auszuüben. Das Recht gleichberechtigt mit anderen eine Arbeit zu suchen. Die Freiheit von ungerechtfertigten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen. Im Arbeitsleben die Möglichkeit, als Mensch mit der Ausübung der praktischen Vernunft zu arbeiten und die Möglichkeit, sinnvolle Beziehungen auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung mit anderen Arbeitnehmern einzugehen.
Der Capability Approach beinhaltet die Forderungen des Grundbedürfnisansatzes (Chancengleichheit, Freiheit, Würde, Rechts- und Gerechtigkeitssinn, Toleranz, Solidarität, Gemeinwohlorientierung und Integrationsfähigkeit). Auch die Definition des Sozialkapitals von HAUG und GERLITZ (Kooperationsförderung und soziale Netzwerke) finden Betrachtung. Die Glücksforschung findet unter anderem Eingang in den Punkten "Emotionen" und "Spielen". SENS Vorstellungen von Freiheit und Unabhängigkeit bilden die Basis von NUSSBAUMS Ansatz. PEET und BOSSELS Punkte (Umweltverständnis, gerechte Behandlung, Respekt unabhängig von Geschlecht und sozialer Herkunft oder Vermögen) werden angesprochen. Was fehlt ist der Aspekt der zukünftigen Generationen, welcher von ihnen aber auch von BROWN-WEISS und FISCHER-KOWALSKI gefordert wird. Aus diesem Grund ist der Capability Approach um diesen Punkt zu ergänzen:
Die Möglichkeit, sich ohne Nachteil für Kinder entscheiden und diese adäquat betreuen und fördern zu können. Die Möglichkeit zukünftiger Generationen ein gutes Leben führen zu können. Dies beinhaltet, dass das gute Leben der heutigen Generation das der zukünftigen nicht schmälern darf (inklusive der Vermeidung unvertretbarer Risiken).
Des Weiteren bleibt die Frage nach einer Verteilungsgerechtigkeit ungeklärt. Hier stehen sich die Vorstellung des Utilitarismus mit der uneingeschränkten individuellen Nutzenmaximierung und die Gerechtigkeitstheorie von RAWLS gegenüber. Auch dieser Punkt muss hinzugefügt werden:
Die Möglichkeit zu wachsen und sich weiter zu entwickeln. Dies beinhaltet die Möglichkeit den individuellen Nutzen zu maximieren, ohne dadurch den Nutzen anderer wesentlich zu verringern. Ungleichheit ist hiernach gerechtfertigt, wenn sie begründet ist und die schwächsten Mitglieder einer Gemeinschaft an den Erfolgen der Leistungsträger partizipieren.
RAWLS Forderung nach gleichen Rechten und insbesondere gleichen Pflichten bleibt im Capability Approach im Falle der Pflichten ungeklärt. Aus diesem Grund wird der Ansatz um den Punkt "Law" ergänzt:
Die Möglichkeit Verträge zu schließen. Die Pflicht sich an geltendes Recht zu halten, sofern durch dieses keine anderen Punkte des guten Lebens in extremer Weise eingeschränkt werden. Die Einhaltungspflicht von Verträgen und Abmachungen.
Der von BROWN-WEISS angesprochene Punkt der kulturellen Vielfalt findet Eingang in den folgenden neuen Aspekt eines guten Lebens:
Die Möglichkeit sich seiner Historie bewusst zu sein. Die Möglichkeit Traditionen und kulturelle Errungenschaften zu bewahren. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit von der Norm abzuweichen und in diesem Sinne "anders" zu sein. Diese Möglichkeiten sind unbeschränkt, sofern hierdurch nicht andere Aspekte eines guten Lebens in wesentlicher Weise eingeschränkt werden.
Der erweiterte Capability Approach bietet eine konkrete Definition eines guten Lebens für heutige und zukünftige Generationen und somit auch für die soziale Nachhaltigkeit. Das Ziel einer sozial nachhaltigen Entwicklung muss es sein, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen oder ihre Lebenssituation zu verbessern. Durch den erweiterten Capability Approach wird soziale Nachhaltigkeit erstmals greif- und operationalisierbar. Eine sozial nachhaltige Organisation oder Unternehmung muss es den Menschen innerhalb und außerhalb ihrer Systemgrenzen ermöglichen, ein möglichst gutes Leben zu führen. Im folgenden Abschnitt wird der erweiterte Capability Approach auf die Unternehmensebene übertragen.
Im Folgenden wird der erweitere Capability Approach so modifiziert, dass er als Definition sozialer Nachhaltigkeit für alle Organisationen und dementsprechend auch für alle Unternehmen dienen kann. NUSSBAUMS Vorstellungen eines guten Lebens, definiert durch die Möglichkeiten des Individuums, muss für diesen Zweck dahin gehend verändert werden, dass die Organisation diese Möglichkeiten gewährt oder unterstützt. Der Modifizierte Erweiterte Capability Approach beinhaltet daher sowohl Möglichkeiten als auch Forderungen und Restriktionen. Der neu entwickelte Ansatz kann als Leitlinie für Unternehmen weltweit genutzt werden. Zudem ist er hilfreich, um bestehende Nachhaltigkeitsbewertungssysteme auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren. In dem Modifizierten Erweiterten Capability Approach (MECA) wird die Vokabel Organisation verwendet, er gilt somit für Unternehmen in gleicher Weise.
Die Handlungen der Organisation, ihre Produktions- und Beschaffungsprozesse, sowie ihre Produkte und Dienstleistungen beeinträchtigen nicht die Möglichkeit von Menschen, ein Leben in normaler Länge zu leben, es sei denn, es ist so reduziert, dass es nicht mehr als lebenswert gelten kann. Eine sozial nachhaltige Organisation unterstützt Menschen darin ein langes Leben zu führen.
Die Handlungen der Organisation gefährdet nicht die Gesundheit von Menschen. Eine sozial nachhaltige Organisation unterstützt Menschen darin ein gesundes Leben zu führen, sich unter anderem gesund und ausreichend zu ernähren und eine adäquate Unterkunft (inklusive sanitärer Anlagen) zu bewohnen.
Die Organisation gewährt den Menschen ein mögliches Maß an freier Ortswahl, die Möglichkeit sich frei zu bewegen, was eine gewisse Mobilität beinhaltet. Die Organisation bietet den Menschen ein mögliches Maß an freier Zeiteinteilung, schützt sie vor gewalttätigen und sexuellen Übergriffen und schränkt ihre Möglichkeit zu sexueller Zufriedenheit und reproduktiver Freiheit nicht ein.
Die Organisation unterstützt Menschen darin, sich ihrer Sinne und Vorstellungskraft zu bedienen. Dies beinhaltet auch die Förderung von Kreativität und Innovation. Die Organisation erlaubt und fordert Menschen dazu auf zu denken und sich ihre eigene Meinung zu bilden und dies in einer "wahrhaft menschlichen" Art und Weise. Die Organisation fördert aktiv eine angemessene Bildung einschließlich, aber keineswegs darauf beschränkt, Alphabetisierung und mathematischer und naturwissenschaftlicher Grundbildung. Dies beinhaltet auch transparente Information und Kommunikation sowie die Förderung des Wissens über die Organisation, der eigenen Aufgaben und Organisationsziele und deren Verhältnis zueinander. Die Organisation unterstützt die Möglichkeit von Menschen Fantasie und Gedanken im Zusammenhang mit Erfahrungen, der eigenen Arbeit und Ereignissen in einer möglichst unabhängigen Weise einzusetzen und zu erleben. Die Organisation gibt den Menschen die Möglichkeit ihre Meinung ohne Restriktionen äußern zu können. Dies gilt für die Innenkommunikation uneingeschränkt, bei der Außenkommunikation eingeschränkt, wenn hierdurch die Organisationsziele gefährdet werden. Die Organisation schränkt die Freiheit der Religionsausübung nicht ein. Sie fördert aktiv die Möglichkeit von Menschen Freude zu empfinden und unnötigen Schmerz zu vermeiden.
Die Organisation erkennt den Menschen als emotionales Wesen an und blendet dieses Faktum bewusst nicht aus. Sie gibt den Menschen die Möglichkeit zu lieben, zu trauern, Sehnsucht, Dankbarkeit und berechtigte Wut zu empfinden. Die emotionale Entwicklung darf nicht durch Furcht und Angst sowie übermäßigem Druck behindert werden. Eine sozial nachhaltige Organisation muss es sich zum Ziel setzen positive Emotionen aktiv zu fördern. Die Unterstützung dieser Möglichkeiten bedeutet Formen des menschlichen Miteinanders zu fördern, welche diese Gefühle nicht unterdrücken oder im Falle von Furcht und Angst hervorrufen.
Die Organisation unterstützt die Menschen darin eine Konzeption des Guten zu bilden und die Planung des eigenen Lebens zu gestalten, aber auch kritisch zu reflektieren. Dies beinhaltet auch den Schutz der Freiheit, des eigenen Gewissens und der Religionsausübung, das heißt die Organisation darf Menschen nicht dazu auffordern gegen ihr Gewissen und ihre Überzeugung zu handeln. Gleichzeitig bietet sie den Menschen die Sicherheit und Freiheit ihr Leben planen zu können. Die Organisation fördert aktiv die Menschen darin in ihrem Handeln einen Sinn zu erkennen.
Die Organisation fördert das Zugehörigkeitsgefühl der Menschen, die Fähigkeit mit anderen zu leben und zu arbeiten; sich um andere Menschen auch außerhalb der Organisation zu kümmern; sich an verschiedenen Formen der sozialen Interaktion zu beteiligen und sich in die Situation anderer hineinzuversetzen. Dies beinhaltet auch den Schutz von Versammlungsfreiheit und politischer Beteiligung. Die Organisation etabliert eine Kultur, welche es jedem Menschen ermöglicht, aber es auch von ihm fordert, auf den sozialen Grundlagen der Selbstachtung und Nichtdemütigung als würdiges gleichwertiges Wesen behandelt zu werden und andere zu behandeln. Dies beinhaltet die Nichtdiskriminierung auf der Grundlage von Geschlecht, sexueller Orientierung, ethnischer und nationaler Herkunft und sozialer Schicht.
Die Organisation handelt im Bewusstsein um ihre Verantwortung gegenüber der natürlichen Umwelt. Sie unterstützt Menschen darin, mit Sorge um und in Beziehung zu Tieren, Pflanzen und der Natur zu leben. (Bei tierischen Lebewesen können die Kriterien eines guten Lebens, mit Einschränkungen, ebenso Anwendung finden.)
Die Organisation unterstützt aktiv die Möglichkeit der Menschen zu lachen, zu spielen und Freizeitaktivitäten zu genießen.
"Political": Die Organisation bindet die Stakeholder in den strategischen Entscheidungsprozess mit ein und berücksichtigt deren Forderungen. Sie gewährt den Angehörigen der Organisation ein höchstmögliches Maß an individueller Entscheidungsfreiheit (bezüglich der Art und Weise wie diese ihre Arbeitsaufgaben durchführen und welche Rolle sie innerhalb der Organisation einnehmen).
"Material": Sie schafft ein transparentes Vergütungssystem. Sie zahlt ihren Mitarbeitern marktgerechte Löhne und Gehälter, welche zur eigenständigen Existenzsicherung ausreichen, das heißt im Falle Deutschlands über der Grundsicherung liegen. Die Organisation vertraut ihren Angehörigen und minimiert Kontrollen auf ein notwendiges Maß. Ungleichheit bezüglich der Vergütung ist gerechtfertigt, sofern das Maß der Ungleichheit nicht Extreme annimmt und alle Mitglieder der Organisation an ihrem Erfolg partizipieren. Die Organisation gewährt ihren Mitgliedern die Möglichkeit, als Mensch mit der Ausübung der praktischen Vernunft zu arbeiten und die Möglichkeit sinnvolle Beziehungen auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung mit anderen Arbeitnehmern einzugehen.
Die Organisation gewährt und fördert die Möglichkeit der Menschen sich ohne Nachteil für Nachwuchs zu entscheiden und diesen adäquat betreuen und fördern zu können. Sie fördert die Möglichkeit zukünftiger Generationen ein gutes Leben führen zu können. Dies beinhaltet, dass das gute Leben der heutigen Generation das der zukünftigen nicht beeinträchtigen darf.
Die Organisation unterstützt ihre Mitglieder darin, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Dies beinhaltet die Möglichkeit, dass diese ihren individuellen Nutzen maximieren können, unter der Voraussetzung, dass hierdurch nicht der Nutzen anderer oder der Organisation selbst wesentlich verringert wird. Ungleichheit ist hiernach gerechtfertigt, sofern sie begründet ist und die schwächsten Mitglieder an den Erfolgen der Leistungsträger partizipieren.
Die Organisation ist verpflichtet, sich an geltendes Recht zu halten. Dies beinhaltet auch die Steuergesetzgebung, sofern die Befolgung des Gesetzes keine anderen Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit in extremer Weise einschränkt. Die Organisation hält sich an Verträge und Abmachungen.
Die Organisation ist sich ihrer Historie in transparenter Weise bewusst. Sie bewahrt Traditionen und kulturelle Errungenschaften. Dies beinhaltet auch historische Bauwerke und Kulturlandschaften. Die Organisation gewährt ihren Mitgliedern allerdings auch die Möglichkeit von der Norm abzuweichen und in diesem Sinne "anders" zu sein, sofern hierdurch nicht andere Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit in wesentlicher Weise eingeschränkt werden.
Die aufgeführten 14 Aspekte konkretisieren die Vision einer sozial nachhaltigen Organisation und Unternehmung. Sie decken das Themenfeld sozialer Nachhaltigkeit in möglichst kompletter und ganzheitlicher Weise ab und können so als Leitlinien für eine sozial nachhaltige Unternehmensführung und –kultur dienen. Der MECA sozialer Nachhaltigkeit bietet zudem die Möglichkeit, existierende Bewertungssysteme zu beurteilen und ungenutzte Potenziale aufzudecken. Dennoch kann der MECA keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Jede Organisation muss für sich prüfen, ob sie Ergänzungen vornehmen muss, um ihrer individuellen Situation und ihrem individuellen Umfeld gerecht zu werden. Auch ist der MECA keine Checkliste, welche es "abzuhaken" gilt, sondern ein Fächer von Zieldimensionen. Diese Zieldimensionen, ausgedrückt in den 14 Aspekten sozialer Nachhaltigkeit dienen als Hilfestellung für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, um langfristig sozial nachhaltiger zu werden. Der Vorwurf einer utopischen Vorstellung ist unbegründet. Zwar muss jede Organisation in einem unterschiedlichen Maße die Möglichkeiten von Menschen beschränken, doch können kleinere Veränderungen in der Führungs- und Unternehmenskultur zu wesentlichen Verbesserungen führen. Diese Kulturveränderungen sind oftmals nicht einmal kostenintensiv; so sind Lob, Wertschätzung und Diskussion auf Augenhöhe kostenlos. Auch Prozesse, jedenfalls teilweise, mehr an den Bedürfnissen der Mitarbeiter auszurichten, ist nicht zwangsläufig mit höheren Kosten verbunden. Eine sozial nachhaltig agierende Unternehmung verbessert durch einen Stakeholderdialog nicht nur ihre Außenkommunikation, sondern auch ihre Akzeptanz, Kundenzufriedenheit und damit verbunden auch ihren Unternehmenswert. Nicht zuletzt sichert sich die Organisation ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Nicht immer wird es sich um Win-win-Situationen zwischen sozialer und ökonomischer Dimension handeln. Dies ist auch nicht die Vorstellung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, sodass es zu höheren Kosten oder Gewinneinbußen kommen kann. Im folgenden Abschnitt sollen exemplarisch die Indikatoren der sozialen Dimension dreier Nachhaltigkeitsbewertungssysteme mit den 14 Aspekten des MECA gegenübergestellt werden, um die unbetrachteten Potenziale sozialer Nachhaltigkeit zu identifizieren.
In diesem Abschnitt werden exemplarisch die Indikatoren der sozialen Dimension der wissenschaftlichen Bewertungssysteme für Nachhaltigkeit – KSL, RISE und des DLG-Nachhaltigkeitszertifikats – dem MECA-Framework gegenübergestellt und dadurch die ungenutzten Potenziale verdeutlicht. Grundsätzlich soll auch zur Diskussion gestellt werden, ob die aufgeführten Bewertungssysteme in ihrer heutigen Form überhaupt in der Lage sind, soziale Nachhaltigkeit zu erfassen. Die folgende Tabelle fasst die 14 Aspekte des MECA mit seinen Unterpunkten zusammen.
Tabelle 1: Zusammenfassung des MECA-Frameworks | ||
---|---|---|
MECA | ||
Aspekt | Unterpunkte | |
"Life" | langes Leben | |
"Bodily Health" | gesundes Leben | |
"Bodily Integrity" | Freiheit in Ort, Mobilität, Zeit; Schutz vor gewalttätigen und sexuellen Übergriffen; sexuelle und reproduktive Freiheit | |
"Senses, Imagination and Thought" | Kreativität, Innovation, Meinungsfreiheit und Meinungsbildung; Bildung, transparente Information und Kommunikation; Unabhängigkeit des Lösungsweges; Religionsfreiheit; Freude und Schmerzvermeidung | |
"Emotions" | Akzeptanz von Emotion; Führung ohne Furcht, Angst und übermäßigen Druck; positives Miteinander; Glück und Zufriedenheit | |
"Practical Reason" | Lebensplanungssicherheit und -freiheit; kritische Reflexion auch von Arbeitsprozessen; Gewissens- und dementsprechende Handlungsfreiheit | |
"Affiliation" | Zu- und Zusammengehörigkeit; Gemeinwohlorientierung; Förderung von Selbstachtung und Nichtdemütigung; Nichtdiskriminierung | |
"Other Species" | Verhältnis zu belebter Umwelt | |
"Play" | Freizeit "Work-Life-Balance" (inklusive Humor am Arbeitsplatz) | |
"Control Over One's Environment" | Stakeholderpartizipation in strategischen Entscheidungsprozessen; individuelle Entscheidungsfreiheit über Arbeitserledigung und Rolle in der Organisation; transparentes Vergütungssystem; marktgerechte existenzsichernde Gehälter; verhältnismäßige Einkommensunterschiede; Erfolgsbeteiligung; Wertschätzung der Arbeit | |
"Future Generations" | Wertschätzung und Nichtdiskriminierung von Eltern; Familienfreundlichkeit; Verantwortung für zukünftige Generationen und deren Entwicklung; Vermeidung unvertretbarer Risiken | |
"Improvement" | individuelle Entwicklungsförderung; individuelle Nutzenmaximierung unter Berücksichtigung einer Verbesserung für die Schwachen | |
"Law" | Gesetzestreue; Einhaltung von Verträgen und Abmachungen | |
"Culture Diversity" | transparentes Geschichtsbewusstsein; Schutz von Tradition und kulturellen Errungenschaften (inklusive historischer Bauwerke und Kulturlandschaften); Akzeptanz der Normabweichung (Toleranz) |
Das Bewertungssystem Kriterien Umweltverträglicher Landwirtschaft (KUL) wird seit 1994 von der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft (TLL) entwickelt. In seinen Anfängen sollte es die durch landwirtschaftliche Betriebe verursachten ökologischen Schäden erfassen und bewerten. Das Bewertungssystem wurde im Hinblick auf die Methoden der Messung und die Auswahl der Indikatoren vom Verband Deutscher Untersuchungs- und Forschungsanstalten (VDLUFA) weiterentwickelt. KUL bildet die Grundlage für das VDLUFA Umweltsicherungssystem Landwirtschaft (USL). Die Hauptziele des USL-Systems sind zum einen die Erweiterung des KUL-Systems für eine landesweite Anwendung in Deutschland und zum anderen die Schaffung eines Zertifizierungssystems im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit landwirtschaftlicher Systeme. Bis 2009 wurde KUL von der TLL im Hinblick auf eine ganzheitliche Bewertung auch der wirtschaftlichen und sozialen Dimension der Nachhaltigkeit weiterentwickelt. Hieraus sind die ergänzenden Ansätze Kriterien einer wirtschaftsverträglichen Landwirtschaft (KWL) und Kriterien einer sozialverträglichen Landwirtschaft (KSL) entstanden. Das ganze System aus KUL, KWL und KSL wird unter der Bezeichnung Kriteriensystem nachhaltige Landwirtschaft (KSNL) zusammengefasst (9).
Die Kriterien für eine sozial verträgliche Landwirtschaft (KSL) beruhen auf den gleichen Prinzipien der TLL wie das KUL-System. Die sozialen Kriterien beinhalten die Bereiche des Arbeitseinsatzes, der Betriebsstruktur, die Beschäftigung (Anzahl der Arbeitskräfte, Altersstruktur, Frauenanteil, Ausbildung) und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (soziale Aktivitäten, Anteil der Eigentümer des Unternehmens). Die Berechnungsgrundlagen und Schwellenwerte für die neu vorgeschlagenen Indikatoren werden bei BREITSCHUH und ECKERT (2) beschrieben. Tabelle 2 fasst die sozialen Kriterien von KSL zusammen.
Tabelle 2: Bewertungskriterien sozialer Nachhaltigkeit (KSL) | ||||
---|---|---|---|---|
Rating | ||||
Kriterium | Einheit | 1 | 6 | 10 |
Arbeitsplatzangebot | Prozent | >= 100 % | >= 70 % | < 70 % |
Altersstruktur | prozentuale Verteilung der Gruppen | A1 > 15 % und > A3, (A1 + A2) >= 70 %, (A3 mindestens 10 %) | (A1 + A2) >= 50 %; dA < 55 Jahre | ≠ Kriterien für 1 und 6 |
Anteil Frauen | prozentualer Anteil | mindestens 43 % und höchstens 57 % | mindestens 23 % und höchstens 78 % | < 23 % oder > 78 % |
Qualifikation | prozentuale Verteilung der Gruppen | Q1 = 100 % und Q2 mindestens 80 % | Q1 mindestens 75 % und Q2 mindestens 50 % | Q1 < 75 % und Q2 < 50 % |
Arbeitsbedingungen | Punkte | 12 Punkte | mindestens 6 Punkte | < 6 Punkte |
Urlaub | Tage | >= 30 Arbeitstage | >= 20 Arbeitstage | < 20 Arbeitstage |
Niveau des Einkommens | Prozent | >= 95 % | >= 70 % | < 70 % |
gesellschaftliche Aktivitäten | Punkte | mindestens 11 Punkte | mindestens 6 Punkte | < 6 Punkte |
Anteil Eigentümer | Prozent | >= 66 % | >= 51 % | 51 % |
Das Arbeitsangebot setzt die Beschäftigten mit der Summe der betriebsnotwendigen Arbeitskräfte ins Verhältnis. Die Altersstruktur unterteilt die ständig Beschäftigten in Altersgruppen ( A1 = < 30; A2 = > 30 ˄ < 50; A3 > 60; dA = Ø) und gibt deren Verhältnis wieder. Gleiches gilt für die Qualifikation (Q1 = abgeschlossene Ausbildung; Q2 = abgeschlossene landwirtschaftliche Ausbildung; Q3 = höhere Ausbildung [Meister, Fachschule; Hochschule und Ähnliches]). Die Arbeitsbedingungen werden bewertet, indem ausgewählte Aspekte der Arbeitsorganisation, insbesondere der Zeitbindung, des technischen und sozialen Arbeitsschutzes sowie der psychischen Belastung betrachtet werden. Das Kriterium Urlaub setzt die realisierten Tage mit dem Urlaubsanspruch ins Verhältnis. Das Niveau des Einkommens orientiert sich an den Bruttolöhnen je Arbeitnehmer der deutschen Wirtschaft. Für jede gesellschaftliche Aktivität innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren kann ein Punkt erzielt werden (2).
Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) entwickelte in Kooperation mit der Technischen Universität München, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und dem Institut für Nachhaltige Landwirtschaft Halle, den DLG-Nachhaltigkeitsstandard "Nachhaltige Landwirtschaft – zukunftsfähig". Mit dem Indikatorenkatalog der DLG lassen sich die Dimensionen der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit für landwirtschaftliche Betriebe quantifizieren und für das Management operationalisieren; des Weiteren kann Nachhaltigkeit über ein Zertifikat kommuniziert werden. Gleichzeitig werden über die Indikatoren Optimierungspotenziale in der Produktion und Unternehmensführung aufgezeigt. Die ökologischen Indikatoren basieren auf dem REPRO-System von HÜLSBERGEN (14) und werden von der DLG um die ökonomische und soziale Dimension ergänzt (24). Tabelle 3 gibt einen Überblick über die Indikatoren der sozialen Dimension des DLG-Nachhaltigkeitsstandards. Entscheidend sind hier die bei der Betriebsanalyse erhobenen Werte und nicht die Namensgebung des Indikators.
Tabelle 3: Indikatoren und Analysebereiche (Handlungsfelder) des DLG-Nachhaltigkeitsstandards | |||
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Analysebereich | Indikator | Betriebsanalyse | |
Soziales |
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Die Entlohnung der Mitarbeiter wird anhand des Tarifvertrages für die Landwirtschaft bewertet. Die durchschnittliche Arbeitsbelastung wird an der regelmäßigen Arbeitszeit der Mitarbeiter gemessen und durch einen Vergleich mit dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und dem Rahmentarifvertrag bewertet. Die Bewertung der Urlaubstage der Mitarbeiter richtet sich nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), dem Rahmentarifvertrag für Arbeitnehmer in landwirtschaftlichen Betrieben und gegebenenfalls dem Jugendarbeitsschutz (JArbSchG)- und Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Des Weiteren wird die Aus- und Fortbildung berücksichtigt. Der Punkt der Mitbestimmung wird auf der Website der DLG aufgeführt, in den Prüfbestimmungen (6) allerdings nicht erhoben. Das Gleiche gilt für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Unter den Aktivitäten des Unternehmens im Analysebereich des gesellschaftlichen Engagements fallen: soziale Leistungen, Kommunikation des Betriebes mit der Öffentlichkeit und regionales Engagement (6).
RISE (Response-Inducing Sustainability Evaluation) ist ein indikatorenbasierter Ansatz zur ganzheitlichen Bewertung von Nachhaltigkeit einer landwirtschaftlichen Produktion auf Betriebsebene. RISE wurde von der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft (SHL) in Kooperation mit öffentlichen und privatwirtschaftlichen Institutionen erarbeitet. Die derzeitige Version von RISE 1.0 wurde im Frühjahr des Jahres 2005 veröffentlicht. RISE wurde bis zum Jahr 2009 auf etwa 450 Betrieben getestet und für Auftragsarbeiten angewendet (11). Tabelle 4 listet die Zustands- und Treibende-Kraft-Parameter auf.
Tabelle 4: Soziale Indikatoren und Parameter in RISE | |||
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Indikator | Zustandsparameter (SP) | Treibende-Kraft-Parameter (DP) | |
Sozio-Ökonomie |
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Gesellschaft |
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Der Aspekt "Life" in MECA mit dem Unterpunkt des langen Lebens wird in KSL teilweise durch die Arbeitsbedingungen, bei der DLG nicht und bei RISE teils durch die Notfall-/medizinische Versorgung vor Ort und soziale Sicherheiten, abgedeckt. Den Kern dieses Aspektes, nämlich die Unterstützung für Menschen, ein langes Leben zu führen, treffen die Indikatoren jedoch unzureichend.
Der Aspekt "Bodily Health" mit dem Unterpunkt des gesunden Lebens wird in KSL teils durch die Arbeitsbedingungen, bei der DLG hingegen in zufriedenstellender Weise durch die Arbeitssicherheit und die Sicherung der Produktqualität und Lebensmittelsicherheit, abgebildet. RISE berücksichtigt diesen Aspekt mit den Indikatoren Versorgung mit sauberem Trinkwasser, Unterkunft und sanitäre Anlagen, soziale Sicherheit und belastende Arbeiten. Hier wird deutlich, dass RISE einen internationalen Gültigkeitsanspruch erhebt.
Der Aspekt "Bodily Integrity" mit den Unterpunkten Freiheit in Ort, Mobilität, Zeit und dem Schutz vor gewalttätigen und sexuellen Übergriffen wird weder von KSL noch von der DLG adressiert. RISE betrachtet zumindest die Zwangsarbeit als Kriterium.
"Senses, Imagination and Thought" mit den Unterpunkten Kreativität, Innovation, Meinungsfreiheit und Meinungsbildungsfähigkeit, Bildung, transparente Information und Kommunikation, Unabhängigkeit des Lösungsweges, Religionsfreiheit, Freude und Schmerzvermeidung wird in allen drei Bewertungssystemen nur sehr unzureichend betrachtet. Die DLG reißt ihn mit den Indikatoren der Mitbestimmung und der Aus- und Fortbildung zumindest an. RISE erhebt allein die Weiterbildung.
Der Punkt "Emotions" mit den Unterpunkten Akzeptanz von Emotion, Führung ohne Furcht, Angst und übermäßigem Druck, positives Miteinander sowie Glück oder Zufriedenheit wird kaum berücksichtigt. Bei RISE könnte er unter Umständen durch die Bewertung der Arbeitssituation und bei KSL durch die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsplatzangebot operationalisiert worden sein. So könnte ein Arbeitsplatzangebot > 100 Prozent auf einen verminderten Druck hinweisen.
Der Aspekt "Practical Reason" mit den Forderungen nach Lebensplanungssicherheit und –freiheit, kritischer Reflexion auch von Arbeitsprozessen, Gewissens- und dementsprechende Handlungsfreiheit und unterstützte Sinnfindung in der eigenen Arbeit wird allerhöchstens noch von RISE durch die Indikatoren der sozialen Sicherheit und Legalität und Dokumentation der Anstellung berücksichtigt. KSL und DLG vernachlässigen ihn komplett.
"Affiliation" mit den Teilaspekten Zu- und Zusammengehörigkeit, Gemeinwohlorientierung, Förderung von Selbstachtung und Nichtdemütigung und Nichtdiskriminierung wird bei KSL durch den Frauenanteil, die Qualifikation, die Altersstruktur und die gesellschaftlichen Aktivitäten in Teilen aufgenommen. Auch die DLG betrachtet gesellschaftliches Engagement. RISE bleibt durch den Indikator Lohndiskriminierung nur vage.
Der Punkt "Other Species", also das Verhältnis zur belebten Umwelt, bleibt in allen drei Bewertungssystemen unbeachtet, könnte aber unter Umständen in Indikatoren zur ökologischen Nachhaltigkeit implementiert sein.
Der Aspekt "Play" mit der Hauptforderung nach Freizeit oder einer "Work-Life-Balance" wird hinreichend durch den Indikator Urlaub in KSL und DLG oder durch Arbeitszeiten bei RISE integriert.
Der Bereich "Control Over One’s Environment" mit den Punkten Stakeholderpartizipation in strategischen Entscheidungsprozessen, individuelle Entscheidungsfreiheit über die Arbeitserledigung und die Rolle in der Organisation, einem transparenten Vergütungssystem, marktgerechten existenzsichernden Gehältern, verhältnismäßigen Einkommensunterschieden sowie Erfolgsbeteiligung und Wertschätzung der Arbeit fließt bei der DLG lediglich durch die Entlohnung der Mitarbeiter ein. Auch KSL bleibt lückenhaft mit seinen Indikatoren Niveau des Einkommens und Anteil der Eigentümer. RISE wird hier mit den Punkten Anteil regionaler Arbeitskräfte und Löhne, tiefster Lohn auf dem Betrieb im Verhältnis zum regionalen Durchschnittslohn, Lohndiskriminierung (Lohndisparität) und Arbeitszeit zur Erreichung des Mindestlohns und dem Indikator Existenzsicherung konkreter.
Der Aspekt "Future Generations" mit der Wertschätzung und Nichtdiskriminierung von Eltern, Familienfreundlichkeit, Verantwortung für zukünftige Generationen und deren Entwicklung inklusive der Vermeidung unvertretbarer (technischer) Risiken wird bei der DLG lediglich durch die Ausbildung implementiert. Bei RISE teilweise durch die Indikatoren Kinderarbeit und Nachfolgeregelung. KSL berücksichtigt diesen Aspekt nicht.
Der Bereich "Improvement" in MECA, charakterisiert durch eine individuelle Entwicklungsförderung und Nutzenmaximierung unter Berücksichtigung einer Verbesserung für die Schwachen, wird bei RISE und DLG durch Weiter- oder Fortbildung operationalisiert. KSL betrachtet diesen Punkt nicht.
Der Aspekt "Law" mit den Forderungen nach Gesetzestreue und Einhaltungspflicht von Verträgen und Abmachungen wird von KSL und DLG nicht adressiert. Nur RISE fordert die Legalität und Dokumentation der Anstellung.
"Culture Diversity" charakterisiert durch ein transparentes Geschichtsbewusstsein, den Schutz von Tradition und kulturellen Errungenschaften unter Akzeptanz der Normabweichung findet in keinem der drei betrachteten Indikatorenkataloge Einlass.
Tabelle 5 visualisiert die Ergebnisse der Gegenüberstellung des MECA-Frameworks mit den Bewertungssystemen KSL, RISE und den Indikatoren der DLG.
Tabelle 5: Gegenüberstellungsergebnisse von KSL, RISE und DLG mit dem MECA-Framework
Die Tabelle verdeutlicht, welche erheblichen Lücken die Bewertungssysteme aufweisen. Soziale Nachhaltigkeit muss als vorrangiges Ziel verfolgen, der heutigen und zukünftigen Generation ein gutes Leben zu ermöglichen. Ein gutes Leben und somit die soziale Dimension der Nachhaltigkeit durch Indikatoren wie Einkommen, Urlaubsanspruch und Weiterbildung quantifizieren zu wollen, ist eine Vorstellung, welche dem Menschen nicht gerecht wird. Sie können nur einen kleinen, wenn auch wichtigen Beitrag leisten. Die entscheidenden Potenziale der sozialen Dimension bleiben in den derzeitigen Indikatorenkatalogen unberücksichtigt, dies gilt insbesondere für Unternehmen in Deutschland. Alle Aspekte eines guten Lebens mit ihren unterschiedlichsten Facetten objektivieren und quantifizieren zu wollen, würde wohl ein System mit hunderten, wenn nicht tausenden Indikatoren hervorbringen. Der Datenerhebungs- und Steuerungsaufwand würde eine praktische Anwendung unmöglich werden lassen.
Die Herausforderung besteht daher darin, Indikatoren aufzuzeigen, welche es ermöglichen ein gutes Leben mit möglichst wenigen Parametern und einem geringen Erhebungsaufwand aufzuzeigen. NUSSBAUM, deren Überlegungen die Grundlage für MECA als Definition einer sozial nachhaltigen Unternehmung bilden, hat in ihrem "Capability Approach" ein gutes Leben anhand von Möglichkeiten objektiviert. Um ein gutes Leben aber messbar werden zu lassen, muss teilweise wieder in den Bereich des Subjektiven zurückgekehrt werden. Ein gutes Leben hat die Zufriedenheit von Menschen zur Folge. So kann Mitarbeiterzufriedenheit als Indikator sozialer Nachhaltigkeit einen wesentlichen Teil der aufgezeigten Lücken schließen, wenn sie – und dies ist unbedingte Voraussetzung – "richtig" gemessen wird. Nichtsdestotrotz werden noch weitere Indikatoren nötig sein, um die soziale Dimension der Nachhaltigkeit in adäquater Weise darstellen zu können. Die identifizierten Potenziale, wie beispielsweise Entscheidungsfreiheit, Nichtdiskriminierung, Emotion und Familienfreundlichkeit zeigen, dass eine Verbesserung nur durch eine veränderte Führungs- und Unternehmenskultur herbeizuführen ist. Diese Veränderungen müssen nicht zwangsläufig zu höheren Kosten führen.
Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit ist auf Organisationsebene bisher nur unzureichend definiert. Es fehlen konkrete Vorstellungen, welche Ziele in diesem Bereich verfolgt werden sollten. Ohne eine hinreichende Konkretisierung fällt es schwer, zielführende Indikatoren aufzuzeigen und die Potenziale der Dimension zu identifizieren und nutzen zu können. Die Indikatoren, welche bisher in Nachhaltigkeitsbewertungssystemen zur Anwendung kommen, sind eher technischer Art, das heißt, sie quantifizieren vorzüglich materielle Größen wie den Urlaubsanspruch, das Einkommen der Mitarbeiter oder auch die Spendentätigkeit einer Organisation. Diese Lösungsansätze beruhen auf natur- und wirtschaftswissenschaftlichen Problemlösungsstrategien sowie Herangehensweisen und werden dem Menschen als emotionalem Wesen, aber auch seiner täglichen Lebensrealität nicht gerecht. Das übergeordnete Ziel der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit muss sein, heutigen und zukünftigen Generationen ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen. Die Herausforderung ein gutes Leben zu erfassen ist nicht neu und zeigt sich schon in der langen Tradition der Kritik am Bruttoinlandsprodukt als Wohlfahrtsindikator.
In diesem Artikel wird der Modifizierte Erweitere Capability Approach (MECA) als Definition und Leitlinie sozialer Nachhaltigkeit von Organisationen zur Diskussion gestellt. Er kann für alle Organisationen, auch für Gartenbauunternehmen, Anwendung finden. Der Capability Approach von NUSSBAUM, welcher ein gutes Leben beschreibt, wurde zu diesem Zweck um die Aspekte "Future Generations", "Improvement", "Law" und "Culture Diversity" erweitert. Anschließend wurde er so modifiziert, dass er für alle Organisationen anwendbar ist. MECA schafft als anwendungsorientiertes, normatives Framework die Grundlage für eine Bewertung sozialer Nachhaltigkeit, welche die Lebensrealität von Menschen berücksichtigt. Die Gegenüberstellung von MECA mit den wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsindikatorenkatalogen KSNL, RISE und dem DLG-Nachhaltigkeitszertifikat veranschaulicht, welche Potenziale der sozialen Dimension bisher ungenutzt bleiben, oder nicht betrachtet werden. Zukünftig gilt es, diese Lücken zu schließen. Hierbei müssen Indikatoren entwickelt werden, welche mit einem geringen Erhebungsaufwand erfasst werden und gleichzeitig konkrete Verbesserungsmöglichkeiten und –maßnahmen aufzeigen können. Für die soziale Dimension der Nachhaltigkeit sieht der Autor die größten Potenziale in einer Optimierung der Führungs- und Unternehmenskultur. Der Indikator Mitarbeiterzufriedenheit kann, wenn er richtig erhoben wird, an dieser Stelle einen wesentlichen Beitrag leisten.
Die 14 Aspekte des MECA-Frameworks bilden erstmals eine ganzheitliche, anwendungsorientierte Basis, um soziale Nachhaltigkeit bewerten zu können. Sie erheben jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und müssen teilweise an die individuelle Situation der Organisation angepasst werden. Ihre Überlegenheit wird deutlich, wenn mit den 14 Aspekten praktische Beispiele beurteilt werden. So haben beispielsweise die Mitarbeiter in Organisation A ein höheres Einkommen und mehr Urlaubsanspruch als in Organisation B, doch ist die Führung in Organisation A durch Druck und Furcht gekennzeichnet. In Organisation B wird hingegen ein kooperativer Führungsstil gepflegt, indem auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht wird. Organisation A weißt ein hohes Spendenaufkommen auf, hält sich aber nicht an Verträge und Abmachungen und lässt beispielsweise zwei alte Fischerhäuser abreißen, um an deren Stelle ein Lager zu errichten. Es lassen sich weitere dieser Beispiele finden, welche in bisherigen Bewertungsansätzen sozialer Nachhaltigkeit nicht betrachtet werden.
Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit ist auf Organisationsebene bisher nur unzureichend definiert. Es fehlen konkrete Vorstellungen, welche Ziele in diesem Bereich verfolgt werden sollten. Ohne eine hinreichende Konkretisierung fällt es schwer, zielführende Indikatoren aufzuzeigen und die Potenziale der Dimension zu identifizieren und nutzen zu können. In diesem Artikel wird ein Modifizierter Erweiterter Capability Approach (MECA) als Definition und Leitlinie sozialer Nachhaltigkeit von Organisationen zur Diskussion gestellt. Der Capability Approach von NUSSBAUM (2003, 2010), welcher ein gutes Leben beschreibt, wurde zu diesem Zweck um die Aspekte "Future Generations", "Improvement", "Law" und "Culture Diversity" erweitert. Anschließend wurde er so modifiziert, dass er für alle Organisationen anwendbar ist. MECA wurde daraufhin drei ausgewählten Nachhaltigkeitsbewertungssystemen gegenübergestellt, um Lücken und Potentiale der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit aufzuzeigen. Der Indikator Mitarbeiterzufriedenheit kann, wenn er richtig erhoben wird, einen wesentlichen Beitrag zur Schließung der identifizierten Lücken leisten.
The 14 Aspects of the MECA Framework for putting Social Sustainability in Organizations in concrete terms
So far, the social dimension of sustainability is inadequately defined at the organizational level. It lacks concrete ideas of what objectives should be pursued in this area. Without putting it sufficiently in concrete terms, it is difficult to identify purposeful indicators and identify as well as exploit the potential of this dimension. In this article, a Modified Extended Capability Approach (MECA) is presented for discussion to serve as a guideline and definition for the social sustainability of organizations. The Capability Approach of Nussbaum (2003, 2010), which describes a good life, has been extended for this purpose to the aspects of "Future Generations", "Improvement", "Law" and "Culture Diversity". It was subsequently modified to apply to all organizations. MECA was then compared with three selected sustainability assessment systems to identify gaps and potentials of the social dimension of sustainability. The employee satisfaction indicator, if gathered properly, can make a major contribution to closing the identified gaps.
Les 14 aspects du MECA-Framework pour concrétiser la durabilité dans les organisations
Jusqu’ici, la dimension sociale de la durabilité n’a pas été définie de manière suffisante. Les idées concrètes manquent qui doivent préciser les objectifs à poursuivre dans ce domaine. Sans concrétisation suffisante, il est difficile de révéler les indicateurs qui conduisent au propos recherché et de parvenir à identifier et à exploiter les potentialités de cette dimension. Dans cet article, une approche Capability modifiée et élargie (MRCA) est soumise à la discussion en tant que définition et ligne directrice de la durabilité sociale des organisations.
La Capability Approach de Nussbaum (2003, 2010) qui dépeint une belle vie a été étendue à cette fin aux aspects "générations futures", "Improvement", "Law" et "Culture Diversity". Elle a été modifiée ensuite de sorte à s’appliquer à toutes les organisations.
La MECA a été alors comparée à trois systèmes d’appréciation de la durabilité, afin d’identifier les lacunes et les potentialités de la dimension sociale de la durabilité. L’indicateur de la satisfaction des employés peut, s’il est relevé correctement, apporter une contribution majeure pour refermer les lacunes identifiées.
Stephan Meyerding M.Sc.
Zentrum für Betriebswirtschaft im Gartenbau e. V.
am Institut für gartenbauliche Produktionssysteme
der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Herrenhäuser Str. 2
30419 Hannover
meyerding@zbg.uni-hannover.de