Wahrnehmung des Themas Welternährung in der deutschen Öffentlichkeit

Von Wilhelm Klümper, Jonas Kathage, Matin Qaim

1 Einleitung

Laut den Zahlen der Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen hungern derzeit weltweit rund 870 Millionen Menschen, die meisten davon in Asien und Afrika (FAO 2012). In den Entwicklungsländern sind Hunger und Unterernährung die größten Risikofaktoren für Kindersterblichkeit sowie körperliche und geistige Entwicklungsstörungen (WHO 2002). Derzeit werden global ausreichend Lebensmittel produziert, so dass der Hunger vor allem das Resultat einer ungleichmäßigen Verteilung ist. Viele Menschen in den Entwicklungsländern sind so arm, dass sie sich Nahrung in ausreichender Menge und Qualität schlichtweg nicht leisten können. Allerdings zeichnet sich zunehmend auch eine Mengenproblematik ab, weil die Nachfrage nach Agrarprodukten für Nahrung, Futter sowie stoffliche und energetische Zwecke weiterhin stark zunimmt, während die für die Produktion benötigten natürlichen Ressourcen zunehmend knapp werden (Bauhus et al. 2012). In den vergangenen zehn Jahren hinkte das globale Produktionswachstum der Nachfrageentwicklung hinterher, was zu steigenden Agrar- und Lebensmittelpreisen führte. Auch zukünftig wird tendenziell eher von steigenden Preisen ausgegangen, die den Zugang zu Nahrung für arme Menschen zusätzlich erschweren könnten (Godfray et al. 2010, OECD-FAO 2012, Breustedt und Qaim 2012).

Über Expertenkreise hinaus spielen Hunger und Welternährungsfragen auch in den Medien und der öffentlichen Diskussion eine Rolle, häufig punktuell auf bestimmte Teilaspekte bezogen. Ebenso werden unterschiedliche Ansätze und Technologien in der Landwirtschaft zunehmend kontrovers diskutiert. Ein besseres Verständnis der öffentlichen Wahrnehmung und Meinungsbildung ist wichtig, um Politik- und Kommunikationsstrategien entsprechend gestalten und anpassen zu können. Vor diesem Hintergrund haben wir eine Öffentlichkeitsbefragung zum Thema Welternährung durchgeführt, deren wesentlichen Ergebnisse in diesem Beitrag vorgestellt werden. Unseres Wissens ist eine Befragung mit dieser Thematik bisher weder in Deutschland noch in anderen Ländern durchgeführt worden.

2 Befragung der Öffentlichkeit

Im März 2012 nahmen insgesamt 1.200 Personen in Deutschland an einer von uns durchgeführten, internet-basierten Befragung zum Thema Welternährung teil. Die nach Alter, Geschlecht, Bildung und Region stratifizierte Stichprobenauswahl erfolgte durch ein Marktforschungsinstitut aus einem Internet-Panel. Das Panel ist repräsentativ für die deutsche Bevölkerung im Alter von 14 bis 69 Jahren mit mindestens einmal wöchentlicher Internetnutzung. Das sind derzeit etwa 75 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland.

Der Online-Fragebogen umfasste unter anderem folgende Themenkomplexe: Bewertung von Ursachen des Hungerproblems, Maßnahmen zur Verbesserung der Situation bis 2050, die Rolle der Landwirtschaft und des Konsumverhaltens in der Europäischen Union (EU) und persönliche Informationsquellen. Darüber hinaus wurden sozioökonomische Charakteristika der Teilnehmer – wie Ausbildung, Alter, Einkommen, Wohnsitz und politische Gesinnung – abgefragt. Für die Antworten auf die meisten Fragen waren Rating-Skalen oder Polaritätsprofile zur Messung der Einstellung hinsichtlich konkreter Sachverhalte vorgesehen.

3 Einschätzung der Ursachen des Hungers und konkreter Maßnahmen

Zu Beginn der Befragung wurden die Teilnehmer mit einer Liste 15 möglicher Ursachen des Hungerproblems konfrontiert, wobei jede der 15 Möglichkeiten auf einer 5-Punkteskala zwischen "keine Ursache" und "sehr bedeutende Ursache" bewertet werden sollte. Die Möglichkeiten umfassten ein breites Spektrum von Aspekten, die üblicherweise als Ursachen diskutiert werden. Begrifflichkeiten wurden kurz erläutert, dort wo Unklarheiten zu vermuten waren. Außerdem wurde die Reihenfolge der genannten Möglichkeiten für jeden Teilnehmer zufällig variiert, um Ausstrahlungseffekte auszuschließen.

Tabelle 1 zeigt die Ursachen, die im Durchschnitt der Teilnehmer als besonders bedeutend und besonders unbedeutend eingestuft wurden. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass akute Hungerkrisen, wie sie durch Naturkatastrophen und kriegerische Konflikte entstehen, in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werden als der weit verbreitete chronische Hunger in den Entwicklungsländern, der gemessen an der Zahl der Todesfälle aber das weitaus größere Problem darstellt.

Tabelle 1: Ursachen des Hungers aus Sicht der Öffentlichkeit
Drei bedeutendste Ursachen aus Sicht der ÖffentlichkeitDrei unbedeutendste Ursachen aus Sicht der Öffentlichkeit
Wasserknappheit, DürrenNachernteverluste
Kriege und KonflikteBioenergie/Biokraftstoffe
Korruption in den EntwicklungsländernZu geringer Einsatz von modernen Agrartechnologien in Entwicklungsländern

Quelle: eigene Darstellung

Dies ist nicht überraschend, weil die Medien vor allem akute Krisen aufgreifen, während über den chronischen Hunger viel weniger berichtet wird. Deutlich wird auch, dass die Landwirtschaft und die niedrige landwirtschaftliche Produktivität in den Entwicklungsländern aus Sicht der Öffentlichkeit nicht im Vordergrund der Ursachenbewertung stehen. Dies liegt vermutlich daran, dass die Mehrheit der Deutschen den Hunger primär als Verteilungsproblem betrachtet. Tatsächlich gab ein Großteil der Befragten an, dass sie den Hunger in erster Linie als Verteilungsproblem wahrnehmen.

In ähnlicher Weise wurden die Teilnehmer nach ihrer Einschätzung zu verschiedenen potenziellen Entwicklungen und Maßnahmen befragt. Diese sollten mit Blick auf Auswirkungen auf die Welternährung auf einer 5-Punkteskala zwischen "verschlechtern" und "verbessern" beurteilt werden. Bei dieser Frage wurde deutlich gemacht, dass es nicht um Nothilfemaßnahmen, sondern um eine langfristige Perspektive bis 2050 geht. Ebenso wurde erwähnt, dass bis dahin die Weltbevölkerung auf vermutlich über neun Milliarden Menschen angestiegen sein wird. Die drei jeweils am stärksten als verbessernd oder verschlechternd bewerteten potenziellen Entwicklungen und Maßnahmen sind in Tabelle 2 dargestellt.

Tabelle 2: Bewertung von Maßnahmen zur Verbesserung der Welternährung bis 2050
Drei am stärksten verbessernde Maßnahmen aus Sicht der ÖffentlichkeitDrei am stärksten verschlechternde Maßnahmen aus Sicht der Öffentlichkeit
Ausbau des Fairen HandelsAbschottung der Entwicklungsländer vom Weltmarkt
Absatzmärkte für Bauern in Entwicklungsländern verbessernVermehrter Einsatz der Grünen Gentechnik
Spekulation mit Lebensmitteln verbietenHöherer Einsatz von Dünger und Pflanzenschutz in Entwicklungsländern

Quelle: eigene Darstellung

Handel auf nationaler und internationaler Ebene wird insgesamt als wichtig eingestuft. Eine Abschottung der Entwicklungsländer vom Weltmarkt wird negativ gesehen, die Schaffung von Absatzmärkten für Bauern in Entwicklungsländern positiv. Dies unterstreicht, dass die Mehrheit der Befragten nicht grundsätzlich gegen Globalisierung ist. Einem Ausbau des Fairen Handels wird allerdings auch ein großes Potenzial zur Verringerung des Hungers zugesprochen, was die positive Beurteilung freier Märkte relativiert. Ein Verbot von Spekulation mit Lebensmitteln wird als wichtige Maßnahme zur Verbesserung der Welternährung eingestuft. Dies verwundert nicht vor dem Hintergrund der medialen Berichterstattung. Spekulation an den Warenterminbörsen wird in vielen Berichten und Dokumentationen als Hungertreiber dargestellt (zum Beispiel Oxfam 2012). Dabei wird oftmals übersehen, dass die langfristigen Preisentwicklungen durch Spekulation nicht beeinflusst werden (Breustedt und Qaim 2012).

Tabelle 2 zeigt auch, dass die landwirtschaftliche Produktion wiederum nicht im Vordergrund bei der Bewertung von Maßnahmen zur Verbesserung der Welternährung steht. Offensichtlich werden das sich abzeichnende Produktionsproblem und die Ressourcenknappheit in der Öffentlichkeit so noch nicht wahrgenommen. Der vermehrte Einsatz der Grünen Gentechnik sowie Dünger und Pflanzenschutz werden als negativ für die Welternährung eingestuft, vermutlich deswegen, weil diese Begriffe mit negativen Umwelteffekten und im Falle der Gentechnik auch mit negativen sozialen Effekten assoziiert werden. Low-input-Produktionssysteme werden von der Mehrheit der Deutschen aus Umweltgesichtspunkten bevorzugt.

Abbildung 1: Antworten auf die Frage: "Angenommen es gäbe einen Konflickt zwischen Welternährung und Umweltschutz, wie würden Sie sich hinsichtlich der Maßnahmen positionieren?"
Quelle: Eigene Darstellung

Wie hoch Umweltziele von den Teilnehmern gewichtet wurden zeigt Abbildung 1. Wenn es einen Konflikt zwischen Welternährung und Umweltschutz gäbe, würden 63 Prozent der Befragten eher eine Priorität auf Maßnahmen des Umweltschutzes legen; fast 15 Prozent würden sogar ausschließlich auf den Umweltschutz setzen. Dieses überraschende Ergebnis ist möglicherweise damit zu begründen, dass nicht alle Befragten sich der Tragweite des Welternährungsproblems vollkommen bewusst sind. Hingegen ist der Umweltschutz als wichtiges Thema in der deutschen Bevölkerung seit Langem etabliert. Potenziell ist auch denkbar, dass einige der Befragten kurzfristige gegen langfristige Effekte betrachteten und Umweltschutz mit einem Erhalt der langfristigen Nahrungsgrundlage assoziieren.

4 Ambivalenz bei Fragen der Pflanzenzüchtung

Unter den vielen möglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Welternährung bis 2050 waren in der Befragung auch zwei Maßnahmen auf Aspekte der Pflanzenzüchtung bezogen. Eine Frage betraf die Einschätzung eines verstärkten Einsatzes ertragreicher Sorten, während die andere sich konkret auf die Grüne Gentechnik bezog.

Abbildung 2: Antworten auf die Frage: "Wir würde ein verstärkter Einsatz ertragsreicher Pflanzensorten die Welternährung beeinflussen?"
Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 3: Antworten auf die Frage: "Wir würde ein vermehrter Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft die Welternährung beeinflussen?"
Quelle: eigene Darstellung

Die Antwortverteilungen sind in den Abbildungen 2 und 3 dargestellt. 75 Prozent der Befragten gaben an, dass ein verstärkter Einsatz ertragreicher Pflanzensorten die Welternährung tendenziell verbessern würde (Abbildung 2). Umgekehrt meinten 41 Prozent, dass ein vermehrter Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft die Welternährung tendenziell verschlechtern würde (Abbildung 3). Zum Teil handelt es sich bei den gegenläufigen Einschätzungen um die gleichen Personen; 27 Prozent der Befragten gaben an, dass die Welternährung durch ertragreiche Sorten positiv und durch Gentechnik negativ beeinflusst wird. Dies ist insofern interessant, als dass die Gentechnik lediglich ein spezielles Werkzeug in der Züchtung ist, mit dem unter anderem das Ziel höherer Erträge verfolgt wird. Möglicherweise trauen die Befragten der Gentechnik nicht zu, dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Ambivalenz auf das Negativimage der Gentechnik zurückzuführen ist. Dieses Negativimage rührt vor allem aus Ängsten vor Umwelt- und Gesundheitsrisiken, die hier – so eine mögliche Erklärung – auf das Thema Welternährung übertragen werden. Was als schlecht für die Umwelt wahrgenommen wird, wird möglicherweise pauschal auch als schlecht für die Welternährung eingestuft.

Besonders negativ werden die Potenziale der Gentechnik für die Welternährung von Frauen und älteren Menschen eingestuft, während ein höherer Ausbildungsgrad zu einer positiveren Einschätzung führt. Auch die Medien beeinflussen das Meinungsbild. Menschen, die häufiger Beiträge zum Thema Welternährung in den klassischen Massenmedien (Zeitung, Radio, Fernsehen) verfolgen, beurteilen das Potenzial der Gentechnik stärker negativ.

5 Einschätzung der Kompetenz unterschiedlicher Akteure

Außer den Massenmedien sind Aussagen von Interessengruppen und anderen Akteuren wichtig für die öffentliche Meinungsbildung. Vor diesem Hintergrund haben wir die Teilnehmer gefragt, für wie kompetent sie unterschiedliche Organisationen in Bezug auf Welternährungsfragen halten. Die Antworten sind in Abbildung 4 zusammengefasst.

Abbildung 4: Mittelwerte von Antworten auf die Frage: "Für wie kompetent in Fragen der Welternährung halten Sie die folgenden Akteure?"
Quelle: Eigene Darstellung

Von den zur Auswahl stehenden Akteuren wurde der Deutschen Welthungerhilfe die größte Kompetenz zugeschrieben. Als sehr kompetent wurden auch Agrarwissenschaftler eingestuft. Hohes Vertrauen im Hinblick auf Welternährungsfragen genießt die Organisation Greenpeace, die ihre Kernkompetenz sonst eher im Bereich Umwelt hat. Dies unterstreicht die Hypothese, dass Einstellungen und Meinungen aus dem Umweltbereich auf das weniger vertraute Thema Welternährung übertragen werden. Als wenig kompetent in Sachen Welternährung wurden von den Befragten deutsche Politiker, Kirchen und Agrokonzerne eingestuft.

6 Rolle der EU-Landwirtschaft

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft in Europa für die Welternährung aus Sicht der deutschen Öffentlichkeit? Um dies einschätzen zu können, haben wir eine Reihe konkreter Vorschläge für Veränderungen in der EU-Agrarproduktion formuliert, die die Befragten hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Welternährung auf einer 5-Punkteskala zwischen "verschlechtern" und "verbessern" bewerten sollten. Die Mittelwerte für die Antworten sind in Abbildung 5 dargestellt. Als Erstes fällt auf, dass die Antworten überwiegend im Bereich nahe von "nicht verändern" liegen. Dies ist ein Indikator dafür, dass die Rolle der EU-Agrarproduktion für die globale Welternährung von der Mehrheit der Befragten als nicht besonders groß eingeschätzt wird.

Abbildung 5: Mittelwerte von Antworten auf die Frage: "Wir würden die folgenden Veränderungen in der EU-Landwirtschaft die Welternährung beeinflussen?"
Quelle: Eigene Darstellung

Im Detail lassen sich jedoch wesentliche Unterschiede in der Bewertung erkennen. Mehr Gentechnik und eine weitere Intensivierung der Tierhaltung in der EU-Landwirtschaft werden als tendenziell verschlechternd für die Welternährung eingestuft. Diese Begriffe sind in der öffentlichen Debatte negativ belegt, auch aufgrund der jüngeren Skandale, über die breit in den Medien berichtet wurde. Am Positivsten für die Welternährung werden hingegen mehr Ökologische Landwirtschaft und Naturschutz in der EU bewertet. Gleichzeitig werden eine Steigerung der Erträge und eine Intensivierung des Ackerbaus in der EU von den Befragten als tendenziell verbessernd für die Welternährung eingestuft. Hieraus ergibt sich ein gewisser Widerspruch, denn unter europäischen Bedingungen sind die durchschnittlichen Erträge im Ökolandbau niedriger als in der konventionellen Landwirtschaft.

Abbildung 6: Antworten auf die Frage: "Wie würde eine Steigerung der Erträge in der EU die Welternährung beeinflussen?"
Quelle: Eigene Darstellung

Diese Ambivalenz ist auch in den Abbildungen 6 und 7 gezeigt. Fast die Hälfte aller Befragten glaubt, dass eine Steigerung der Erträge in der EU die Welternährung nicht verändern würde. Immerhin 38 Prozent meinen aber, dass eine Ertragssteigerung die Welternährungslage tendenziell verbessern würde (Abbildung 6). Gleichzeitig gab fast die Hälfte der Befragten an, dass mehr Ökolandbau in der EU die Welternährung tendenziell verbessern würde (Abbildung 7).

Abbildung 7: Antworten auf die Frage: "Wie würde mehr Ökologische Landwirtschaft in der EU die Welternährung beeinflussen?"
Quelle: Eigene Darstellung

Teilweise überschneiden sich die genannten Gruppen: 19 Prozent gaben an, dass sowohl höhere Erträge als auch mehr Ökolandbau in der EU die Welternährung verbessern würden. Die Gründe für diese widersprüchlich erscheinende Bewertung sind nicht ganz klar. Wir vermuten, dass auch hier Pauschalurteile eine Rolle spielen. Die Ökologische Landwirtschaft genießt in der deutschen Bevölkerung ein sehr positives Image und gilt als besonders umweltfreundlich. Dieses positive Bild wird möglicherweise unreflektiert auf den Bereich Welternährung übertragen.

7 Rolle des EU-Konsums

Nicht nur die europäische Landwirtschaft, sondern auch das Konsumverhalten in Europa kann Auswirkungen auf die Welternährung haben. Einschätzungen zu diesem Zusammenhang wurden ebenfalls erfragt und sind in Abbildung 8 gezeigt.

Abbildung 8: Mittelwerte von Antworten auf die Frage: "Wie würden die folgenden Veränderungen im EU-Konsum die Welternährung beeinflussen?"
Quelle: Eigene Darstellung

Die Effekte des EU-Konsums werden insgesamt als stärker eingestuft als die Effekte der EU-Agrarproduktion. Als besonders positiv für die Welternährung wird der Verbrauch aus regionaler Erzeugung und aus Fairem Handel eingeschätzt. Als ähnlich wichtig wird eine Verringerung der Wegwerfproblematik eingestuft. Die Verschwendung durch das weit verbreitete Wegwerfen von Lebensmitteln wurde zum Zeitpunkt der Befragung von der Politik und den Medien stark thematisiert (zum Beispiel BMELV 2012), was vermutlich die Beantwortung dieser Frage beeinflusst hat.

Schließlich haben wir die Teilnehmer nach ihrem eigenen Konsumverhalten gefragt und danach, wie stark das Thema Welternährung sie in ihren persönlichen Konsumentscheidungen beeinflusst. Im Durchschnitt der Antworten kam heraus, dass das Thema für die tatsächlichen Konsumentscheidungen keine wichtige Rolle spielt. Insbesondere der persönliche Fleischkonsum wird praktisch nicht durch Welternährungsaspekte beeinflusst. Dies ist insofern interessant, als dass in öffentlichen Diskussionen eine Reduktion des Fleischkonsums und der damit verbundenen Veredelungsverluste häufig als Hebel für die Verbesserung der Welternährung genannt wird. Die in solchen Diskussionen vorgebrachten Argumente spiegeln aber nicht immer die tatsächlichen Verhaltensmuster wider. Der individuelle Fleischkonsum wird in Deutschland stärker von anderen Faktoren beeinflusst.

8 Schlussfolgerung

Die Ergebnisse zeigen, dass die Welternährung kein Top-Thema in der öffentlichen Debatte in Deutschland ist. Die Meisten nehmen Hunger vor allem dann war, wenn die Medien in akuten Krisensituationen darüber berichten. Chronischer Hunger und Unterernährung als weit verbreitete Dauerprobleme erfahren deutlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit. Bei der Bewertung von Ursachen und Maßnahmen wird deutlich, dass Hunger in erster Linie als Verteilungsproblem gesehen wird. Ansätze zur Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft werden von der Mehrheit als nicht zentral für die Verbesserung der Welternährungslage gesehen.

Die Öffentlichkeit bewertet Ziele des Umweltschutzes höher als das Ziel der Verbesserung der Welternährung. Hieraus ergeben sich bei vielen Fragen scheinbar Pauschalurteile. Was als positiv für die Umwelt wahrgenommen wird, wird automatisch auch als positiv für die Welternährung eingestuft. Ein Beispiel hierfür ist der Ökolandbau. Umgekehrt werden Technologien, die als umweltschädlich eingestuft werden, auch als negativ für die Welternährung bewertet. Dies trifft für chemische Inputs und die Gentechnik zu.

Insgesamt werden aufgrund der hohen Priorität auf den Umweltschutz extensive Formen der Landbewirtschaftung von der deutschen Öffentlichkeit bevorzugt, während neue Technologien in vielen Fällen kritisch gesehen werden. Unserer Interpretation nach stehen bei dieser Einschätzung Umwelteffekte auf lokaler Ebene im Vordergrund. Globale Zusammenhänge werden teilweise nicht ausreichend berücksichtigt. Zum Beispiel nutzt extensive Produktion die knappe Ressource Land oftmals nicht effizient, was bei steigender Nachfrage nach Agrarprodukten zu mehr Flächenverbrauch mit global negativen Umwelt- und Klimawirkungen führen kann. Die globale Ressourcenknappheit wird in Bezug auf Welternährung von der deutschen Bevölkerung noch nicht als ernsthaftes Problem betrachtet. Eine stärkere Bewusstseinsbildung für die globalen Zusammenhänge und Herausforderungen und ein schrittweiser Abbau von Vorurteilen erfordern verbesserte öffentliche Kommunikation.

Zusammenfassung

Die Ergebnisse einer Befragung der deutschen Öffentlichkeit zum Thema Welternährung werden in diesem Beitrag vorgestellt. Die Befragung wurde online mit 1.200 Personen durchgeführt. Welternährung ist für die Mehrheit kein Top-Thema. Die Meisten nehmen das Hungerproblem vor allem dann war, wenn die Medien in akuten Krisensituationen darüber berichten. Die Bewertung von Ursachen und Maßnahmen zeigt, dass Hunger in erster Linie als Verteilungsproblem gesehen wird. Ansätze zur Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft werden überwiegend als nicht zentral für die Verbesserung der Welternährung eingestuft. Umweltschutz wird von der Öffentlichkeit im Vergleich zur Welternährung eine höhere Priorität eingeräumt. Hieraus ergeben sich scheinbar einige Pauschalurteile. Was als positiv (negativ) für die Umwelt wahrgenommen wird, wird auch als positiv (negativ) für die Welternährung eingestuft. Dies betrifft zum Beispiel die Einschätzung der Rolle des Ökolandbaus, chemischer Inputs und der Gentechnik. Eine stärkere Bewusstseinsbildung für das Thema Welternährung mit seinen Herausforderungen und ein schrittweiser Abbau von Vorurteilen erfordern verbesserte öffentliche Kommunikation.

Summary: Perception of Global Food Security Issues in the German Public

This article presents results from an opinion survey carried out in Germany on the topic of global food security. The survey was implemented online with a sample of 1.200 individuals. Global food security is not a major topic for most Germans. Hunger is seen as a problem, but primarily related to acute crisis situations that the mass media report about. Responses on the perceived causes of hunger and the suitability of strategies to improve the situation demonstrate that issues of food distribution are considered more important than issues of production. Efforts to increase productivity in agriculture are not considered very important. Germans rank environmental protection higher than food security objectives. It appears that some blanket judgments are simply transferred: what is considered good (bad) for the environment is also judged positively (negatively) for food security. This affects perceptions of the role of organic farming, agrochemicals, and genetically modified crops. Creating higher awareness of food security issues and challenges and overcoming widely held prejudices will require better public communication.

Résumé: La perception du sujet de l’alimentation globale par le publique allemand

Cet article présente les résultats d’un sondage effectué en ligne parmi 1.200 personnes du public allemand au sujet de l’alimentation mondiale. Pour la majorité des allemands, l’alimentation mondiale n’est pas un sujet de premier plan. La plupart des interrogés perçoit la problématique de la faim au monde surtout quand les médias en parlent durant des situations de crises graves. L’évaluation des causes et des mesures montre que la faim est surtout considéré comme un problème de distribution. La majorité des interrogés ne situe pas au plan central des approches envers une augmentation de la productivité agricole en vue d’une amélioration de l’alimentation mondiale. Par contre et par rapport à l’alimentation mondiale, le public accorde une plus grande priorité à la protection de l’environnement. Apparemment, un nombre de jugements sommaires s’ensuivent. Ce qui est perçu comme positif (négatif) pour l’environnement est également considéré comme positif (négatif) pour l’alimentation mondiale. Cela concerne, par exemple, l’estimation du rôle de l’agriculture biologique, des intrants chimiques et du génie génétique. Une plus forte sensibilisation quant au sujet de l’alimentation mondiale et de ses enjeux aussi bien qu’une réduction  progressive des idées reçues ou des préjugés exigent une meilleure communication publique.


Literatur

  1. Bauhus, J.; Christen, O.; Dabbert, S.; Gauly, M.; Heißenhuber, A.; Hess, J.; Isermeyer, F.; Kirschke, D.; Latacz-Lohmann, U.; Otte, A.; Qaim, M.; Schmitz, P.M.; Spiller, A.; Sundrum, A.; Weingarten, P., 2012. Ernährungssicherung und nachhaltige Produktivitätssteigerung. Berichte über Landwirtschaft, Bd. 90, Nr. 1, S. 5-34.
  2. BMELV. Zu gut für die Tonne, https://www.zugutfuerdietonne.de/, zuletzt aufgerufen im November 2012.
  3. Breustedt, G., Qaim, M., 2012. Hunger in der Welt – Fakten, Ursachen, Empfehlungen. Ernährungs Umschau, Bd. 59, Nr. 8, S. 448-455.
  4. FAO, 2012. State of Food Insecurity in the World. Food and Agriculture Organization of the United Nations, Rom.
  5. Godfray, H.C.J.; Beddington, J.R.; Crite, I.R.; Haddad, L.; Lawrence, D.; Muir, J.F.; Pretty, J.; Robinson, S.; Thomas, S.M.; Toulmin, C., 2010. Food security: the challenge of feeding 9 billion people. Science 327, S. 812-818.
  6. OECD-FAO, 2012. Agricultural Outlook 2012-2021. Organization for Economic Cooperation and Development, Paris, Food and Agriculture Organization of the United Nations, Rom.
  7. Oxfam. Mit Essen spiel man nicht, https://www.oxfam.de/gegenspekulation, zuletzt aufgerufen im November 2012.
  8. WHO, 2002. World Health Report: Reducing Risk, Promoting Healthy Life. World Health Organization of the United Nations, Genf.

Dank

Diese Studie wurde finanziell von der Heinz Lohmann Stiftung gefördert. Die Konzeption und Durchführung der Befragung sowie die Interpretation der Ergebnisse erfolgte unabhängig vom Geldgeber.

Autorenanschrift

MSc agr. Wilhelm Klümper, MSc agr. Jonas Kathage und Prof. Dr. Matin Qaim, Lehrstuhl für Welternährungswirtschaft und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 5, 37073 Göttingen, Deutschland. E-Mail: mqaim@uni-goettingen.de