Zur effektiven Gestaltung der Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU
DOI:
https://doi.org/10.12767/buel.v0i0.250Abstract
Zusammenfassung Die Europäische Union steht in Umwelt- und Klimaschutzfragen vor enormen Herausforderungen. Treib-hausgasemissionen, Biodiversitätsverluste, Ammoniakemissionen und nach wie vor vielfach zu hohe Nähr-stofffrachten in die Gewässer verlangen eine deutlich zielorientiertere und konsequentere Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik als bisher. Die bisherigen agrarumwelt- und klimapolitischen Maßnahmen – auch innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) – haben nicht zu hinreichenden Reduzierungen der Umwelt-belastungen durch die Landwirtschaft geführt. In ihren Verordnungsentwürfen aus dem Jahr 2018 schlägt die EU-Kommission für die GAP nach 2020 ein „neues Umsetzungsmodell“ vor. Dieses Modell verlagert die Kompetenzen für die Politikgestaltung stärker auf die Mitgliedstaaten und strebt eine stärkere „Ergebnisorientierung“ an, womit den Mitgliedstaaten eine deutlich stärkere Gemeinwohlorientierung in der Umsetzung der GAP ermöglicht wird. Zukünftig gibt die EU den Legislativvorschlägen zufolge nur noch Ziele und grobe Interventionskategorien vor und überlässt den Mitgliedstaaten sowohl die Zielquantifizierung als auch die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen. Hierzu erstellt jeder Mitgliedstaat für sein gesamtes Hoheitsgebiet einen nationalen Strategieplan, in dem die Maßnahmen der 1. und 2. Säule der GAP gemeinsam programmiert werden. Dieser Plan ist zur Geneh-migung der EU-Kommission vorzulegen. Zur Gestaltung der „grünen Architektur“ der GAP sind drei Politikinstrumente vorgesehen: die „Konditiona-lität“ der Direktzahlungen, die neuen sogenannten „Öko-Regelungen“ (Eco-Schemes) der 1. Säule und die umwelt- und klimaschutzrelevanten Regelungen der 2. Säule (AUK II). In der Kombination dieser drei Poli-tikinstrumente wird den Mitgliedstaaten im Vergleich zur gegenwärtigen Förderperiode (2014-2020) deut-lich mehr Gestaltungsspielraum gewährt. In Deutschland erfordert dies eine stärkere Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Hinsichtlich der von der EU-Kommission vorgelegten Legislativvorschläge zieht der Beirat ein gemischtes Fazit. Einerseits bieten sich für die Mitgliedstaaten neue Möglichkeiten für zielgerichtete Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen. Andererseits sind die Gestaltungsspielräume für die Mitgliedstaaten bisher so weit gefasst, dass auch eine wenig anspruchsvolle Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik möglich ist und die Einkommensstützung weiterhin im Vordergrund stehen kann. Der Beirat sieht die Gefahr eines „race to the bottom“ in Bezug auf das Ambitionsniveau in der Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik, wenn die EU-Kom-mission als Taktgeber keine ambitionierteren Budgetvorgaben vorgibt und keine stringenten Kriterien für die Genehmigung der nationalen Strategiepläne anwendet. Somit hängt es in erster Linie vom politischen Gestaltungswillen der Mitgliedstaaten ab, ob Mitgliedstaaten am Status quo der Agrarförderung festhalten oder ob eine anspruchsvolle, zielgerichtete und effiziente Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik entwickelt wird, welche die Gestaltungsbereitschaft vieler Landwirtinnen und Landwirte einbezieht. In der vorliegenden Stellungnahme bewertet der Beirat die Legislativvorschläge hinsichtlich ihres Potenzials für eine zielorientierte Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik und erarbeitet Vorschläge für eine effektive nationale Gestaltung dieses Politikfeldes im Rahmen des „neuen Umsetzungsmodells“ der GAP. Damit spe-zifiziert der Beirat für den Agrarumwelt- und Klimaschutz seine im April 2018 ausgesprochene Empfehlung einer gemeinwohlorientierten Neuausrichtung der GAP nach 2020 (WBAE 2018). ii Zusammenfassung Für eine effektive Gestaltung der Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik im Rahmen der GAP nach 2020 spricht der Beirat u. a. die folgenden Empfehlungen für die Bundesregierung und in Teilen für die Landes-regierungen aus: I) Agrarumwelt- und klimaschutzpolitische Problemlagen klar benennen und Ziele angemessen operationalisieren. (1) Aus den Problemlagen eine Priorisierung der Ziele ableiten, (2) darlegen, welchen Beitrag die GAP zur Erreichung der nationalen Umwelt- und Klimaschutzpläne leisten soll, (3) sich für die Interpretation des Einkommensziels gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes einsetzen, also einer Ausrichtung der GAP an der Gewährleistung der gesellschaft-lichen Funktionen der Landwirtschaft. II) Mindestbudgetanteile für den Agrarumwelt- und Klimaschutz vorgeben und sukzessive erhöhen. Für die nationale Umsetzung: (1) ab Beginn der neuen Förderperiode mindestens 30 % der Summe aus Direktzahlungen und ELER-Mitteln für Agrarumwelt- und Klimaschutzziele verausgaben, (2) diesen Anteil über zehn Jahre so erhöhen, dass 100 % der Mittel der 1. Säule für ambitionierte Eco-Schemes, AUK II oder Tierwohlmaßnahmen zur Verfügung stehen, (3) diesen Prämienumbau frühzeitig kommunizieren, (4) bei einer Überzeichnung der Eco-Schemes die Basisprämie („Einkommensgrundstützung für Nachhaltigkeit“) kürzen, (5) bereits 2020 mehr Mittel von der 1. in die 2. Säule umschichten. Sich außerdem auf EU-Ebene einsetzen für: (6) einen vollständigen Rückbau der Basisprämie über zehn Jahre, (7) die Möglichkeit einer nationalen Kofinanzierung der Basisprämie, (8) eine an den Herausforderungen und dem europäischen Mehrwert orientierte Mittelverteilung zwischen den Mitgliedstaaten, (9) die Vorgabe, dass alle Mitgliedstaaten mindestens 30 % der Summe aus Direktzahlungen und ELER-Mitteln für Agrarumwelt- und Klimaschutzziele verausgaben. III) Für mitgliedstaatenübergreifenden Biodiversitäts- und Moorschutz zweckgebundene Budget-anteile auf EU-Ebene einrichten. Sich auf EU-Ebene dafür stark machen, dass (1) zweckgebundene EU-Budgetanteile für das Natura-2000-Netzwerk sowie für den Moorschutz (als Pilotprojekt) eingerichtet werden und (2) mittelfristig EU-weit ein auf regionaler Ebene spezifizierter Mindest-anteil an extensiv bewirtschafteten Flächen für den Arten- und Biotopschutz realisiert wird. IV) Pauschale Auflagenbindung der Direktzahlungen durch „spezifische Konditionalität“ ersetzen. (1) Einzelbetriebliche Konditionalitätsanforderungen im GAP-Strategieplan minimieren und stattdessen zielgerichtete, ambitionierte und gut ausgestattete Eco-Schemes sowie AUK II programmieren, (2) ausgewählte förderrechtliche Standards zur Erhaltung der Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ) im Ordnungsrecht verankern, und (3) Zuwendungsempfängern ab einer gewissen Fördersumme Beratungspflichten oder einzelbetriebliche Nachhaltigkeitschecks auferlegen. V) Rechtsstaats- und Zielkonditionalität stärken. Sich in den EU-Verhandlungen dafür einsetzen, dass (1) ein gestuftes System der Rechtsstaatskonditionalität und (2) eine verbindliche, im Rahmen der GAP-Strategiepläne zu implementierende EU-weite Zielkonditionalität eingeführt wird. VI) Den Leistungsrahmen der GAP deutlich überarbeiten. Sich in den EU-Verhandlungen dafür einsetzen, dass (1) die zu berichtenden Indikatoren sachgerechter an den Zielen orientiert werden und (2) das Berichtswesen vereinfacht wird. Zusammenfassung iii VII) Anforderungen für die Genehmigung der GAP-Strategiepläne klar benennen und dadurch Transparenz und Planungssicherheit erhöhen. Sich in den Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass (1) Mindestanforderungen an das Anspruchsniveau der Eco-Schemes vorgegeben werden, (2) die Strategiepläne der Mitgliedstaaten rechtzeitig öffentlich zugänglich gemacht werden, und (3) die notwendigen Konkretisierungen möglichst in den Basisrechtsakten vorgenommen werden und nicht in Form von Durchführungsrechtsakten und delegierten Rechtsakten. VIII) Eco-Schemes zielorientiert und effizient gestalten. (1) Im nationalen Strategieplan Maßnahmen programmieren, die bundesweit von Interesse sind und für die entsprechende Ziele formuliert wurden, (2) die Maßnahmen standortdifferenziert ausgestalten und honorieren, (3) Eco-Schemes und AUK II effizient abgrenzen und zielorientierte Kombinationsmöglichkeiten schaffen, (4) Eco-Scheme-Zahlungen von einer eventuellen Kappung und Degression ausnehmen. IX) Eco-Schemes für Tierwohlmaßnahmen öffnen und Tierwohlförderung ausbauen. Sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass (1) Mitgliedstaaten für die Anhebung der ordnungsrechtlichen Tierwohlstandards deutlich oberhalb des EU-Durchschnitts einen Teil der hierdurch entstehenden Kosten durch staatliche Zahlungen im Rahmen des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) oder des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) kompensieren können, (2) Eco-Schemes auch für nicht-investive Tierwohlmaßnahmen geöffnet werden, die sich deutlich besser an die Anzahl der Tiere als an die förderfähige Fläche knüpfen lassen. Für die nationale Umsetzung: (3) den Einsatz von Mitteln für die Tierwohlförderung erheblich erhöhen, (4) die Möglichkeiten der Zweckbindung von Mitteln innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes nutzen, wenn die Finanzierung nicht über Eco-Schemes erfolgt. X) Die Zielorientierung von Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen der 2. Säule mittels innovativer Anreizmechanismen erhöhen. (1) Anreizinstrumente für eine bessere räumliche Steuerung von Agrarumwelt- und Klimaschutzaktivitäten im Praxiseinsatz erproben, (2) Programme für eine ergebnisorientierte Honorierung von Umwelt- und Klimaschutzleistungen weiterentwickeln, (3) den Übergang zu einer stärker zielorientierten Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik nicht mit dem Argument höherer Administrationskosten abwehren. XI) Die institutionellen Voraussetzungen für einen kollektiv organisierten Agrarumwelt- und Klimaschutz verbessern. (1) Prüfen, inwieweit Elemente des niederländischen Systems des kollektiven Vertragsnaturschutzes auch in Deutschland anwendbar sind, (2) die institutionellen Voraussetzungen für die Umsetzung kollektiver Modelle des Umwelt- und Klimaschutzes verbessern, (3) den Zusammenschluss relevanter lokaler Akteure zu „Biodiversitätserzeugergemeinschaften“ im Rahmen von Pilotprojekten schon in der gegenwärtigen Finanzperiode fördern. XII) Die Definition von Förderberechtigten und förderfähiger Fläche überarbeiten. Sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass (1) alle Landbewirtschafter, die landwirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, im Rahmen der 1. Säule förderberechtigt sind, (2) die Definition von „landwirtschaftlichen Tätigkeiten“ im Entwurf zur GAP-Strategieplanverordnung um Paludikulturen erweitert wird, (3) die Definition von „Dauergrünland“ im Entwurf zur GAP-Strategieplanverordnung dahingehend erweitert wird, dass die Mitgliedstaaten „Dauergrünland“ über eine Stichtagsregelung abgrenzen können. Für die nationale Umsetzung: (4) die möglichen Freiheitsgrade weitestgehend nutzen, um die Förderung der Bewirtschaftung und Pflege von naturschutzfachlich hochwertigen Offenlandbeständen durch die 1. Säule zu ermöglichen. iv Zusammenfassung Abschließend betont der WBAE: Die von der EU-Kommission 2018 vorgelegten Legislativvorschläge für die GAP nach 2020 bieten den Mitgliedstaaten deutlich größere Gestaltungsfreiräume für eine zielorientierte Politikumsetzung, als es gegenwärtig der Fall ist. Dies birgt einerseits die Chance für die Gestaltung einer ambitionierten, finanziell gut ausgestatteten und auf Gemeinwohlziele ausgerichteten GAP. Andererseits besteht die Gefahr, dass einzelne Mitgliedstaaten die neuen Freiheiten nutzen, um weiterhin primär Ein-kommenspolitik für den Sektor zu betreiben statt übergeordnete gesellschaftliche Ziele in den Mittelpunkt zu stellen. Umso mehr sollte Deutschland sich dafür einsetzen, dass für alle Mitgliedstaaten der Spielraum für eine wenig anspruchsvolle Gestaltung der Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik beschränkt wird. Gleich-zeitig sollte Deutschland die neuen Gestaltungsmöglichkeiten in der nationalen Umsetzung nutzen, um die GAP schrittweise aus ihrer Einkommensorientierung zu lösen und konsequent auf Gemeinwohlziele, insbe-sondere auf Umwelt-, Klimaschutz und Tierwohl auszurichten. Wird die notwendige Neuausrichtung der GAP zeitlich nach hinten verschoben, so werden sowohl die zu adressierenden Problemlagen dringlicher als auch der betriebliche Anpassungsbedarf höher – mit der Folge zusätzlicher Anpassungskosten. Eine gemein-wohlorientierte GAP würde die Landwirtschaft bei der Bewältigung der vor ihr liegenden Herausforderun-gen unterstützen, die gesellschaftliche Akzeptanz der GAP langfristig sichern und damit verlässliche agrar-politische Rahmenbedingungen für das nächste Jahrzehnt und darüber hinaus schaffen.
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