Anteil Milchkühe in der Gewinnphase – Meta-Kriterium zur Identifizierung tierschutzrelevanter und ökonomischer Handlungsnotwendigkeiten
DOI:
https://doi.org/10.12767/buel.v99i2.340Abstract
Milchviehbetriebe sind mit der Herausforderung konfrontiert, die Verteilung der verfügbaren Ressourcen im Kontext der innerbetrieblichen Prozessabläufe so zu organisieren, dass daraus Gewinne resultieren, mit denen sie sich im Wettbewerb behaupten können. Gleichzeitig mehren sich die Forderungen aus der Gesellschaft, bei den Produktionsprozessen dem Schutz der Tiere vor Beeinträchtigungen mehr Bedeutung beizumessen. In der öffentlichen Wahrnehmung werden die ökonomisch relevanten Leistungssteigerungen häufig als ursächlich für tierschutzrelevante Probleme angesehen. Allerdings lassen sich aus nutztierwissenschaftlicher Sicht keine verallgemeinerungsfähigen Aussagen zu den Beziehungen zwischen dem Leistungsniveau und dem Grad tierschutzrelevanter Beeinträchtigungen treffen. Dies bedeutet keineswegs, dass keine Wirkbeziehungen bestehen. Sie finden nicht auf der Ebene aggregierter Daten, sondern auf der Einzeltierebene statt und machen die Einzeltiere zum maßgeblichen Bezugssystem sowohl für tierschutzrelevante wie für ökonomische Belange. Um mit der Komplexität des Wirkungsgefüges im Betriebssystem umgehen zu können, bedarf es geeigneter, Orientierung gebender Kenngrößen, anhand derer die einzelbetrieblichen Verhältnisse eingeordnet und Konfliktfelder miteinander in Abgleich gebracht werden können.
Um die Aussagegehalte diverser Kenngrößen und deren Anschlussfähigkeiten zu überprüfen, wurden Erhebungen auf 32 heterogen strukturierten Milchviehbetrieben über einen einjährigen Monitoring-Zeitraum durchgeführt. Dabei kristallisierte sich der Anteil der Milchkühe in der Gewinnphase (AMG) als eine neue Kenngröße heraus, welche neben der Rate an unfreiwilligen Abgängen ein objektives, reproduzierbares und mit hohem Erklärungsgehalt ausgestattetes Meta-Kriterium repräsentiert. Beide Meta-Kriterien ermöglichen den Milchviehhaltern eine neue Sicht auf Wechselwirkungen zwischen tierschutzrelevanten und ökonomischen Kenngrößen und können als Orientierungsgröße für einzelbetriebliche Handlungsnotwendigkeiten fungieren. Der AMG-Wert konstituiert eine für die wirtschaftliche Existenzfähigkeit des jeweiligen Betriebes normative Zielgröße. Zu niedrige AMG-Werte verweisen auf negative Grenzgewinne, welche die wirtschaftliche Existenz der Betriebe unterminieren. Zudem verkörpern positive Grenzgewinne eine normative Zielgröße für die vom jeweiligen Betrieb zwecks eigener Existenzsicherung zu erbringenden Tierschutzleistungen. Bei einzelbetrieblichen AMG-Werten, die zu niedrig sind, um die wirtschaftliche Existenz zu sichern, verfällt der „vernünftige Grund“, welche den Nutztierhaltern erlauben, den Nutztieren Einschränkungen zuzumuten, die mit Schmerzen, Leiden und Schäden verbunden sind.
Der neue Ansatz basiert auf einer retrospektiven Betrachtung der Kosten und Leistungen der unerwünscht abgegangenen Milchkühe und einer Beurteilung, ob diese unter den jeweiligen Lebensbedingungen in der Lage waren, die monetären Gesamtaufwendungen durch entsprechende Lebensleistungen auszugleichen. Dadurch kann geklärt werden, welche biologischen Prozesse und Funktionsstörungen sowie welche ökonomischen Randbedingungen in welchem Maß am Zustandekommen des einzelbetrieblichen AMG-Wertes beteiligt waren. Die Ergebnisse widersprechen den Empfehlungen einer vorherrschenden Beratungspraxis, die vorrangig einer Strategie der Produktionskostensenkung das Wort redet. Stattdessen votieren sie für eine einzelbetriebliche und einzeltierliche Betrachtung- und Herangehensweise des Managements mit dem Ziel, nicht primär die Leistungen, sondern den AMG-Wert zu steigern.
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