Zum Umgang mit alten, naturnahen Laubwäldern in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Biodiversitätsschutz, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel

Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates für Waldpolitik - Dezember 2023

Autor/innen

  • Peter Meyer Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt, Abteilung Waldnaturschutz
  • Marcus Lindner European Forest Institute, Bonn, und Universität Ostfinnland, Fakultät für Naturwissenschaften und Forstwirtschaft
  • Jürgen Bauhus Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Professur für Waldbau
  • Jörg Müller Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Biozentrum, Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie
  • Nina Farwig Philipps-Universität Marburg, Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Biologie
  • Friederike Lang Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Professur für Bo-denökologie
  • Matthias Dieter Thünen-Institut für Internationale Waldwirtschaft und Forstökonomie, Hamburg
  • Ewald Endres Hochschule Weihenstephan Triesdorf - Forstrecht und Forstpolitik
  • Annette Hafner Ruhr-Universität Bochum, Fakultät Bau- und Umweltingenieurwissenschaften
  • Ralf Kätzel Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde, Fachbereich Waldökologie und Monitoring
  • Thomas Knoke Technische Universität München, School of Life Sciences, Professur für Waldinventur und nachhaltige Nutzung
  • Birgit Kleinschmit Technische Universität Berlin, Institut für Land-schaftsarchitektur und Umweltplanung
  • Ulrich Schraml Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg, Freiburg
  • Ute Seeling Berner Fachhochschule - Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL
  • Gabriele Weber-Blaschke Technische Universität München, Lehrstuhl für Holzwissenschaft

Abstract

Alte, naturnahe Laubwälder stehen zunehmend im Fokus der europäischen und nationalen Waldpolitik. Sie haben eine besondere Bedeutung für den Schutz der biologischen Vielfalt und es wird häufig angenommen, dass sie einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten und über eine hohe Anpassungsfähigkeit im Klimawandel verfügen. Vor diesem Hintergrund zielen einige waldrelevante Politiken darauf ab, in diesen Ökosystemen Holznutzung dauerhaft oder temporär auszusetzen. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik (WBW) in dieser Stellungnahme mit folgenden Fragen:  

  • Wie können alte, naturnahe Laubwälder naturschutzfachlich sinnvoll und operational definiert werden?
  • In welchem Umfang tragen Laubwälder, in denen keine Holznutzung stattfindet, zum Biodiversitäts- und Klimaschutz sowie zur Anpassung an den Klimawandel bei? Wo sind gegebenenfalls Zielkonflikte zu erwarten?
  • Welche systematischen Planungsansätze können verfolgt werden, um das Erreichen von Schutz- und Anpassungszielen aufeinander abzustimmen?
  • Was sind geeignete politische Instrumente zur Priorisierung und Optimierung von Biodiversitätsschutz, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel?

Da die ökonomischen Auswirkungen eines Einschlagstops in alten Buchenwäldern auf Forstbetriebe und Volkswirtschaft bereits an anderer Stelle diskutiert wurden (Bolte et al. 2022), werden diese Aspekte hier nur am Rande betrachtet. Für den zukünftigen Umgang mit alten, naturnahen Laubwäldern hinsichtlich der oben genannten Fragestellungen spricht der WBW folgende Empfehlungen aus:

Nicht nur Buchen- sondern Laubwälder

Deutschland liegt im Zentrum der aktuellen Verbreitung der Rotbuche (Fagus sylvatica L.). Daraus wird auch eine globale Verantwortung für Buchenwaldlebensräume abgeleitet. Da es in Mitteleuropa eine gemeinsame Evolutionsgeschichte der Gesamtheit der temperaten Laubwälder und ihrer Lebensgemeinschaften gibt, sollten Bemühungen zum Schutz alter Wälder und ihrer typischen Strukturen sämtliche naturnahe Laubwälder umfassen. Eine Fokussierung auf von Buchen dominierten Wäldern ist nicht zielführend. Besonders wertvoll sind dabei Wälder mit Baumdimensionen und Strukturen, die ab einem Alter jenseits der üblichen Ernteschwelle auftreten.

Die Aussetzung der Holznutzung und Einrichtung von strengen Schutzgebieten in alten, naturnahen Laubwäldern sollte im Wesentlichen durch den Schutz der Biodiversität begründet werden.

Vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher unterer Altersgrenzen für die Definition alter Buchen- und Laubwälder in der jüngeren Diskussion spricht sich der WBW für eine strenge Auslegung des Begriffs “alter, naturnaher Laubwald” aus. Diese sollte der Definition von Old-Growth der EU-Biodiversitätsstrategie entsprechen (siehe Kap. 3.4) und mit dem dauerhaften Schutz der identifizierten Waldbestände verbunden werden. Dies bietet (1) eine eindeutige Definition, (2) Anschlussfähigkeit an die EU-Naturschutzpolitiken, insbesondere die EU-Biodiversitätsstrategie, (3) Anerkennungsfähigkeit im Rahmen der Nationalen Biodiversitätsstrategie als Wald mit natürlicher Entwicklung, und (4) vermeidet eine Inflation der naturschutzfachlichen Bewertungsmaßstäbe.

Zwischen dem Schutz der Biodiversität, dem Klimaschutz und der Anpassung der Wälder an den globalen Wandel bestehen aus Sicht des WBW einige Zielkonflikte. Während alte Laubwälder vor allem für den Schutz der Biodiversität und als Kohlenstoffspeicher bedeutsam sind, ist ihre Funktion als Kohlenstoffsenke kurz- bis mittelfristig begrenzt. Jüngere bis mittelalte Laubwälder stellen über den höheren Zuwachs eine effektivere Kohlenstoffsenke dar, ihre natürliche Entwicklung lässt kurz- bis mittelfristig allerdings kaum positive Effekte auf die Biodiversität erwarten. Die Biodiversität kann in Abwesenheit von Störungen durch Entmischung, Dichtschluss und Verlust der Baumartenvielfalt sogar abnehmen. Gleichzeitig ist die Einstellung der Holznutzung keine volkswirtschaftlich effiziente Klimaschutzmaßnahme, da die Kohlenstoffspeicherung im Wald durch Einnahmeverluste der Forstbetriebe, entgangene Wertschöpfung in nachgelagerten Bereichen bei der stofflichen Verwendung sowie dem Wegfall von Substitutionspotenzialen erkauft wird. Daher sollte die Einstellung der Nutzung auf solche Flächen konzentriert werden, die vor allem einen hohen naturschutzfachlichen Wert aufweisen. Mit einer Absenkung der Altersgrenze für den strikten Schutz alter Laubwälder nehmen diese Zielkonflikte zu. Die Annahme, dass natürliche Wälder ohne Holznutzung eine Win-Win-Win Situation hinsichtlich des Klimaschutzes und der Biodiversität sowie einer Verbesserung der Anpassungsfähigkeit an den globalen Wandel darstellen, birgt die Gefahr eines nicht einlösbaren Politikversprechens. Die genannten Zielkonflikte können durch eine Kombination unterschiedlicher Schutz- und Bewirtschaftungsstrategien reduziert werden und sollten in der Gestaltung entsprechender Politikinstrumente berücksichtigt werden.

Weitere Ausweisung von Waldschutzgebieten auf der Grundlage eines systematischen Schutzgebietssystems.

Da die Ausweisung von strikten Waldschutzgebieten in Deutschland bisher nur selten in einem systematisch-objektivierten Prozess nach Kriterien der Repräsentativität, Seltenheit oder Gefährdung erfolgte, sind nicht alle vergangenen Bemühungen in Hinblick auf den Schutz der Biodiversität als effizient anzusehen. Wissenschaftliche Erfolgskontrollen der Schutzgebietsausweisungen sind ebenfalls eher die Ausnahme. Ausgangspunkt für weitere Schutzbemühungen sollte daher eine Lückenanalyse des bestehenden Schutzgebietssystems sein, um bestehende Defizite gezielt und effizient adressieren und Maßnahmen standortspezifisch planen zu können. Die Ausweisung von Waldschutzgebieten sollte vor allem dort erfolgen, wo die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die zu schützenden Lebensgemeinschaften sich dort auch im Klimawandel erhalten können.

Verbesserung des Monitorings für Schutzgebiete. Im Zuge des rasant fortschreitenden globalen Wandels besteht großer Bedarf für ein kontinuierliches Waldmonitoring, um zeitnah Anpassungsstrategien auf einer belastbaren Grundlage entwickeln zu können. Da alte, strikt geschützte Wälder bisher in den großräumigen Rasterinventuren nur in geringem Umfang repräsentiert sind, empfiehlt der Beirat für Waldpolitik ein adäquates Monitoring zu entwickeln, um abzuschätzen, wie sich eine Unterschutzstellung auf Biodiversität, Kohlenstoffpools und laufende Kohlenstoffspeicherung sowie die Anpassungsfähigkeit auswirkt.

Effektive und effiziente Förderinstrumente ausbauen und weiterentwickeln.

Förderinstrumente für den Privat- und Körperschaftswald sollten so ausgestaltet werden, dass die beschriebenen Zielkonflikte möglichst vermieden werden. Die systematische Schutzgebietsplanung wäre eine wichtige Grundlage für eine solche Förderung. Gestaffelte Fördersätze können Anreize schaffen, um die bestehenden Lücken mit naturschutzfachlich wertvollen Wäldern zu füllen. Dies wäre auch über ein Auktionssystem möglich, in dem Waldbesitzende ihren Wald für dauerhafte oder temporäre Schutzgebiete anbieten. In jedem Fall sollte vor der Aufnahme konkreter Waldflächen in Förderprogramme den Waldbesitzenden ein Beratungsangebot und Endscheidungshilfen vorliegen, sowie eine Beurteilung der Waldfläche stattfinden. Neben der Einschätzung der naturschutzfachlichen Wertigkeit sollten dabei auch mögliche Waldschutzprobleme adressiert werden. Für naturschutzfachlich wertvolle Wälder auf ertragsschwachen Standorten oder mit Bewirtschaftungshindernissen (Steilhänge, nasse Standorte etc.) im privaten und kommunalen Besitz, die bereits in der Vergangenheit kaum genutzt wurden, sollten geeignete Instrumente entwickelt werden, um die Waldbesitzenden für einen langfristigen Schutz zu gewinnen. Neben dem Ankauf von Waldflächen oder einem Flächentausch könnten temporäre Waldschutzgebiete mit Laufzeiten von 10-20 Jahren den Waldbesitzenden den Einstieg in den langfristigen Schutz naturschutzfachlich wertvoller Teilflächen ihrer Wälder erleichtern.

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Veröffentlicht

2023-12-11